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Simon Marti

Schweizer Europapolitik am Wendepunkt. Interessen, Konzepte und Entscheidungsprozesse in den Verhandlungen über den Europäischen Wirtschaftsraum

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2013 (Politik und Demokratie in den kleineren Ländern Europas 5); 399 S.; brosch., 64,- €; ISBN 978-3-8329-7808-2
Diss. Basel. Begutachtung: L. Goetschel, G. Kreis. – Betrachtet man die weithin bekannte Reserviertheit gegenüber der EU, könnte vergessen werden, dass auch in der Schweiz Europapolitik betrieben wird. Marti untersucht die schweizerische Europapolitik zwischen den Jahren 1988 bis 1992. In dieser Zeit wurde mit der Schaffung des Europäischen Binnenmarkts die Vertiefung der Europäischen Gemeinschaften von ihren Mitgliedern vorangetrieben, zugleich war sie vom Ende des Ost‑West‑Konfliktes geprägt. In dieser Phase fand in der Schweiz eine fundamentale europapolitische Wende statt, da die Regierung 1991 explizit anstrebte, der damaligen EG beizutreten. Sie wich damit vom bisherigen Mittelweg zwischen Bewahrung der Eigenständigkeit bei gleichzeitigem Ausnutzen der wirtschaftlichen Vorteile über bilaterale Verträge ab. Im Mittelpunkt der Dissertation steht die Untersuchung der Ursachen für diesen Wandel sowie eine detaillierte, in sechs Phasen unterteilte Rekonstruktion der damaligen Entscheidungsprozesse zwischen Regierung, Verwaltung und Spitzenverbänden in den Verhandlungen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Dies wird auf der Grundlage eines rollentheoretischen Ansatzes mit dem Fokus auf den Einstellungen, Interessen und Wertvorstellungen der Akteure sowie eines korporatistischen Ansatzes mit dem Schwerpunkt auf den Einflussmöglichkeiten von Regierung, Verwaltung und Verbänden analysiert. Vor diesem Hintergrund kommt Marti unter anderem zu dem Ergebnis, dass der korporatistische Ansatz die restriktive Verhandlungsführung der Schweiz gegenüber der EG bis 1991 erklären kann, nicht jedoch den radikalen Positionswechsel. Dafür bedürfe es des rollentheoretischen Ansatzes mit drei zentralen Rollenkonzeptionen. Zunächst erklärt die Rollenkonzeption des apolitischen Wirtschaftsakteurs, bei der eine Maximierung des volkswirtschaftlichen Gesamtnutzens verfolgt wird, das Verbleiben der Schweiz in dem als problematisch wahrgenommenen EWR‑Verhandlungsprozess und trug zusätzlich ab 1991 zur Befürwortung eines Beitrittes zur entstehenden EU bei. Im Laufe des Prozesses spielte zudem die Rollenkonzeption der Neutralität eine Rolle. Durch den EU‑Beitritt sollte die Neutralität der Schweiz im Rahmen der entstehenden Gemeinsamen Außen‑ und Sicherheitspolitik der EU auf dem Verhandlungsweg abgesichert werden. Verstärkt setzte sich außerdem sowohl in der Verwaltung als auch in der Regierung eine Rollenkonzeption der Souveränität durch, die die Schweizer Selbstbestimmung durch die Partizipationsmöglichkeiten als EU‑Mitgliedsstaat besser gewährleistet sah als im EWR oder im Falle eines Alleingangs.
Jan Achim Richter (JAR)
Dipl.-Politologe, Doktorand, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.61 | 4.22 | 3.6 Empfohlene Zitierweise: Jan Achim Richter, Rezension zu: Simon Marti: Schweizer Europapolitik am Wendepunkt. Baden-Baden: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36051-schweizer-europapolitik-am-wendepunkt_43455, veröffentlicht am 08.08.2013. Buch-Nr.: 43455 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken