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Robert Lorenz

Gewerkschaftsdämmerung. Geschichte und Perspektiven deutscher Gewerkschaften

Bielefeld: transcript Verlag 2013 (Studien des Göttinger Instituts für Demokratieforschung zur Geschichte politischer und gesellschaftlicher Kontroversen 6); 305 S.; kart., 29,80 €; ISBN 978-3-8376-2286-7
Weniger Mitglieder, weniger Macht – die Gewerkschaften befinden sich seit nunmehr rund 30 Jahren in einer zunehmenden Krise. Diese Annahme scheint in Medien und Wissenschaft mittlerweile allgemein Konsens zu sein. Umgekehrt lässt sich aber auch fragen, warum die Gewerkschaften trotz zahlreicher früherer Krisen und Phasen der Verfolgung, Unterdrückung und wiederkehrender Marginalisierung immer noch gewichtige Organisationen darstellen, die aus der politischen und betrieblichen Landschaft nicht wegzudenken sind. Beide Phänomene, so zeigt Robert Lorenz in seiner Geschichte der deutschen Gewerkschaften, sind nicht unabhängig voneinander zu denken: Oftmals waren es Stärke und Selbstbewusstsein, die dazu führten, dass notwendige organisatorische und strukturelle Anpassungen vernachlässigt wurden. Umgekehrt nutzten die Gewerkschaften immer dann ihr enormes Anpassungspotenzial, wenn sie eigentlich kurz vor dem Abgrund standen. Der Autor zeigt, dass sich gewisse Umgangsweisen mit Krisen und Erfolgen – trotz unterschiedlicher politischer und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen – regelmäßig wiederholt haben. Dazu gehören etwa die Schwierigkeiten, sich an gesellschaftliche Wandlungsprozesse anzupassen, aber auch organisationsbedingte Konflikte und Konkurrenzverhältnisse. Letztere waren oft für die genannten Anpassungsschwierigkeiten mitverantwortlich. Die Tatsache, dass die Gewerkschaften aus vielen Krisen, manchmal gestärkt, aber immer erneuert und modernisiert hervorgegangen sind, lasse hoffen. Anzeichen einer Neuorientierung habe es in den vergangenen Jahren viele gegeben. Lorenz legt insgesamt eine spannende Geschichte der deutschen Gewerkschaften vor. Hervorzuheben ist, dass der Fokus weniger auf große innere Entwicklungslinien gelegt wird. Vielmehr steht die Frage nach der gesellschaftlichen Interaktion der Gewerkschaften mit ihrer Umwelt in historisch vergleichender Perspektive im Vordergrund. Allenfalls das Resümee mit Blick auf gewerkschaftliche Gegenwartsstrategien hätte man sich umfassender gewünscht: Welche Implikationen bringt die Aussage mit sich, dass sich die deutschen Gewerkschaften „mit der nüchternen Realität deutlich verringerter Macht und Stärke abfinden“ (268) müssen? Müssen sie das überhaupt? Bedeutet gewerkschaftliche Stärke nicht vielleicht in der heutigen Zeit etwas ganz anderes als vor 40 Jahren? Hier müsste man in Zukunft anknüpfen – die Grundlagen für einen solchen Denkprozess liefert der Autor auf jeden Fall.
Björn Wagner (BW)
Dipl.-Politologe, Doktorand und Lehrbeauftragter, Universität Jena.
Rubrizierung: 2.331 | 2.31 Empfohlene Zitierweise: Björn Wagner, Rezension zu: Robert Lorenz: Gewerkschaftsdämmerung. Bielefeld: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35915-gewerkschaftsdaemmerung_43778, veröffentlicht am 04.07.2013. Buch-Nr.: 43778 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken