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Bernd Belina

Raum. Zu den Grundlagen eines historisch-geographischen Materialismus

Münster: Westfälisches Dampfboot 2013 (Einstiege 20); 173 S.; 14,90 €; ISBN 978-3-89691-682-2
Dem cultural turn ist auch in den deutschen Sozialwissenschaften in den vergangenen Jahren ein zunehmender spatial turn gefolgt. Die englisch‑ und französischsprachigen Vorläufer einer kritischen sozialwissenschaftlichen Raumdebatte sind allerdings im deutschen Sprachraum mangels Übersetzungen immer noch weitgehend unbekannt. Nicht zuletzt deshalb ist es sehr zu begrüßen, dass der Verlag Westfälisches Dampfboot dem Thema neben seiner Reihe „Raumproduktionen“ nun auch einen eigenen „Einstiege“‑Band widmet. Bernd Belina, einer der exponiertesten Kenner des Forschungsfeldes, führt seine Leser_innen strukturiert und verständlich in Grundlagen der historisch‑materialistischen Raumforschung ein. Dieser Fokus auf neomarxistische Perspektiven mag für einen Einführungsband zunächst befremdlich erscheinen, lässt sich allerdings durch die herausgehobene Stellung solcher Perspektiven in der englischsprachigen Raumforschung rechtfertigen. Im Mittelpunkt des Buches steht die detaillierte Einführung in die raumtheoretischen Schriften von David Harvey und Henri Lefebvre, zwei der wichtigsten Vertreter der kritischen Raumtheorie. Nach einer knappen Einführung in die Grundlagen des historischen Materialismus widmet sich der Autor der ausführlichen Diskussion von räumlichen Aneignungspraktiken und deren gesellschaftlichen Bedeutungen. Dahinter steht der Gedanke, dass „Raum“ an sich, als abstrakte Kategorie, keinerlei spezifische Bedeutung hat, sondern diese erst durch konkrete individuelle und kollektive Aneignungsprozesse erfährt, durch die Verknüpfung mit Normen und Verhaltensmustern, durch Inklusions‑ und Ausschlusskriterien. Räume sind also immer das Ergebnis sozialer Interaktionen und von Produktionsprozessen – und entfachen infolgedessen eine nicht zu unterschätzende Wirkung auf gesellschaftliche Institutionen und Lebenswelten. Belina zeigt anschließend, „dass je nach sozialer Praxis unterschiedliche Raumformen in unterschiedlicher Weise relevant werden können“ (131) und diskutiert diesbezüglich die Raumformen Territorium, Scale, Place und Netzwerk. Darauf aufbauend wird die Relevanz räumlicher Praktiken an den Beispielen Kapital, Staat und Identität demonstriert. So zeigt sich etwa, dass „Gefühle der Zugehörigkeit zu physisch‑materiellen Orten häufig ebenfalls eine auf Exklusion des ‚Anderen‘ basierende Identifikation“ begründen (145). Alles in allem legt Belina eine spannende Einführung für Studierende wie Lehrende gleichermaßen vor, sie enthält zugleich zahlreiche neue Einsichten und Denkanstöße für die Politik‑ und Sozialwissenschaften im Allgemeinen.
Björn Wagner (BW)
Dipl.-Politologe, Doktorand und Lehrbeauftragter, Universität Jena.
Rubrizierung: 5.42 Empfohlene Zitierweise: Björn Wagner, Rezension zu: Bernd Belina: Raum. Münster: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35887-raum_43855, veröffentlicht am 27.06.2013. Buch-Nr.: 43855 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken