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Jutta Hergenhan

Sprache, Macht, Geschlecht. Sprachpolitik als Geschlechterpolitik. Der Fall Frankreich

Königstein/Ts.: Ulrike Helmer Verlag 2012; 278 S.; pb., 29,95 €; ISBN 978-3-89741-345-0
Politikwiss. Diss. FU Berlin; Begutachtung: B. Wehland‑Rauschenbach, C. Ulbrich. – Ausgerechnet in dem Land, in dem 1789 die Allgemeine Menschenrechtserklärung verkündet wurde, blieben die Frauen länger von politischen Teilhaberechten ausgeschlossen als in jedem anderen europäischen Land – 1944 erlangten die Französinnen endlich das Wahlrecht, der Anteil weiblicher Abgeordneter blieb aber noch Jahrzehnte lang niedrig. Erst unter der sozialistisch‑grün‑kommunistischen Regierung von Lionel Jospin 1997 bis 2002 wurde die „Unterrepräsentation von Frauen [...] als ein generelles Demokratiedefizit anerkannt“ (15). Bisherige Erklärungen dieses Phänomens, die sich etwa auf kulturelle oder sozioökonomische Faktoren berufen, greifen nach Ansicht von Jutta Hergenhan zu kurz. Sie erklärt, dass das staatlich‑politische System in Frankreich bis in die jüngste Vergangenheit in seinen Grundlagen „auf einer rigiden Geschlechtertrennung beruhte, die Männern bis heute einen strukturellen Vorteil verschafft“ (67). Diese These erhärtet Hergenhan in ihrer Analyse des inneren Zusammenhangs von sprachlicher und politischer Ordnung sowohl im historischen Längsschnitt als auch vergleichend mit Blick auf die französischsprachigen Landesteile Kanadas, Belgiens und der Schweiz. Ausgangspunkt ist die sprachliche Gleichheit von Frauen und Männern im Mittelalter, die sich in der Neuzeit fortzusetzen schien, als das Lateinische als Sprache der (männlichen) Gebildeten durch das Französische abgelöst wurde und damit auch den Frauen die Möglichkeit eröffnet wurde, sich (notfalls selbst) zu bilden. Hergenhan schildert anschaulich, wie sich in Paris literarische Salons als gemischtgeschlechtlicher Diskussionsraum etablierten. Allerdings war die französische Sprache schon immer auch ein Mittel der Politik – um die Nation zu formen wie auch um Macht durchzusetzen. Und so richtete Kardinal Richelieu, argumentiert die Autorin, die Académie fran çaise als absolutistische Hüterin der Sprache – und auch als bewusstes Gegenstück zu den Salons – ein. Das Gremium war bis 1980 (!) ausschließlich männlich besetzt. Es vertrat die These, die Sprache müsse ohne überfälligen Ballast auskommen, und setzte das generische Maskulinum durch. Hergenhan erkennt in diesem sprachlichen „‚einschließenden Ausschluss’ von Frauen [...] ein Grundmuster der demokratischen Moderne“ (217). Erst mit den Sprachreformen 1984‑86 und 1997/98 sei in Frankreich die Pluralität der Geschlechter mittels ihrer sprachlichen Sichtbarmachung erkannt und damit die politische Neuausrichtung ermöglicht worden.
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Rubrizierung: 2.27 | 2.24 | 2.61 | 2.64 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Jutta Hergenhan: Sprache, Macht, Geschlecht. Königstein/Ts.: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35716-sprache-macht-geschlecht_43131, veröffentlicht am 13.02.2013. Buch-Nr.: 43131 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken