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Jean Ziegler

Wir lassen sie verhungern. Die Massenvernichtung in der Dritten Welt. Aus dem Französischen übertragen von Hainer Kober

München: C. Bertelsmann 2011; 320 S.; geb., 19,99 €; ISBN 978-3-570-10126-1
„Der Hunger ist ein organisiertes Verbrechen.“ (25) – Der Soziologe Ziegler, von 2000 bis 2008 UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, legt mit diesem Buch einen Erfahrungsbericht vor. Darin zieht er Schlüsse aus seinen Begegnungen mit Hungernden und mit denen, die politisch gegen Unterernährung kämpfen müssten und es manchmal auch tun, sowie aus seinen Einsichten in die globalen Marktmechanismen, die über die Verteilung der Nahrungsmittel bestimmen. Denn die fast eine Milliarde Menschen, die hungern, sind keinesfalls Opfer eines unabwendbaren, der Natur geschuldeten Schicksals. Deshalb verteidigt er diese Hungernden, die selbst keine öffentlich zu hörende Stimme haben, und fordert ihr Recht auf Leben ein. Ziegler vermisst schlaglichtartig an wenigen Beispielen knapp, aber eindrücklich den Hunger in jüngerer Geschichte (zum Beispiel in Polen verursacht durch die NS-Besatzer) und Gegenwart (so in Indien, wo die Hälfte der permanent Unterernährten lebt), schildert den qualvollen Verlauf des Hungertods bei Kindern und nennt die Hauptursachen für Hunger: die Strukturanpassungsprogramme von IWF, WTO und Weltbank, mit denen die Selbstversorgung armer Länder verhindert worden ist, der freie Handel zum Nachteil der Armen, die Korruption von Beamten und Politikern in den Ländern mit hungernder Bevölkerung sowie vor allem die Spekulation auf Agrarrohstoffe. Ziegler weist damit die Hauptverantwortung nicht den Politikerinnen und Politikern zu (obwohl die Europäer in der Zeit, in der sie mit der Rettung ihrer Banken beschäftigt waren, weniger Geld an das Welternährungsprogramm überwiesen und so vielerorts für die Einstellung der dringend benötigten Schulspeisung sorgten), sondern den Akteuren der Wirtschaft, vor allem den Agrarkonzernen. Ihren Einfluss gelte es zu beschneiden. Seine Forderungen sind: Das Recht auf Nahrung ist als vorrangig festzuschreiben; Börsenspekulationen auf Grundnahrungsmittel werden verboten; das globale Kartell des Agrarrohstoff- und Nahrungsmittelhandels wird zerschlagen; die Bauern werden vor Land Grabbing geschützt; die Subsistenzwirtschaft bleibt erhalten und wird gefördert. – Diese Forderungen decken sich mit denen von Jean Feyder, der bei der WTO Vorsitzender des Komitees für die am wenigsten entwickelten Länder ist (siehe „Mordshunger“, 2010, Buch-Nr. 39327). Was bisher fehlt, ist ihre dringend notwendige politische Umsetzung.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 4.44 | 4.45 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Jean Ziegler: Wir lassen sie verhungern. München: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35692-wir-lassen-sie-verhungern_43103, veröffentlicht am 24.01.2013. Buch-Nr.: 43103 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken