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Hedwig Richter / Ralf Richter

Die Gastarbeiter-Welt. Leben zwischen Palermo und Wolfsburg

Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 2012; 284 S.; kart., 34,90 €; ISBN 978-3-506-77373-9
Die Geschichtsschreibung der Arbeitsmigration pflege meist nur einen Erzähl-Plot, kritisieren die Autoren, „der auf ein klares Ziel zuläuft: die Integration. In dieser Erzählung finden die Remigranten keinen Platz“ (9). Zugespitzt formuliert münde dies immer nur in den Vorwurf, dass die Arbeitsmigranten unterdrückt worden seien und Politik wie Gesellschaft sich zu lange weigerten, Deutschland zum Einwanderungsland zu erklären. Richter und Richter wollen dagegen „das Narrativ der Viktimisierung“ (11) vermeiden und über eine Historisierung der Arbeitsmigrationsforschung an einem konkreten Beispiel zu einem empirisch haltbaren Bild gelangen. Im Mittelpunkt ihrer Untersuchung stehen die Motive und Erfahrungen der italienischen Arbeitsmigranten in Wolfsburg, ergänzt um eine Darstellung der Angebote, die ihnen von der Stadt und ihrem Arbeitgeber, dem Volkswagenwerk, gemacht wurden sowie der Unterstützung durch kirchliche und gewerkschaftliche Akteure. Mit den italienischen Beschäftigten des Volkswagenwerkes wurde damit ein besonders herausragendes Beispiel aus der Geschichte der sogenannten Gastarbeiter gewählt, haben doch seit 1962, „dem Jahr, in dem Volkswagen seine ersten ausländischen Arbeitskräfte der Nachkriegszeit beschäftigte“ (9), etwa 60.000 Italiener und Italienerinnen in Wolfsburg gelebt. Der weitaus überwiegende Teil dieser Arbeitsmigranten plante von Anfang an, nur zum vorübergehenden Geldverdienen in Wolfsburg zu sein – und hielt sich auch an diesen Vorsatz. Richter und Richter schildern die ersten Anwerbeverfahren des Unternehmens in Italien und die bescheidene Lebensweise der Zugewanderten, die möglichst ihren ganzen Verdienst nach Hause schickten. In ihrer Freizeit nahmen sie demnach allenfalls die Angebote eines italienischen katholischen Geistlichen wahr, der sie in ihrer Absicht, wieder nach Hause zurückkehren zu wollen, unterstützte. Als Konsequenz bescheinigen die Autoren diesem explizit, maßgeblich an einer Entwicklungsblockade beteiligt gewesen zu sein – während sich die Bundesrepublik zu einer Bildungsgesellschaft entwickelte, verharrten die meisten gering qualifizierten italienischen Zuwanderer auf ihrem Status quo. Problematisch wurde dies, wenn sie blieben und die Familie nachzog. Auch wenn Stadt und Arbeitergeber gegenteilige Maßnahmen initiierten, blieb man unter sich und übertrug die Bildungsferne auf die nächste Generation, nun aber zum Nachteil der Kinder, die oftmals ohne Abschluss die Schule verließen. Richter und Richter erzählen allerdings auch von einer kleineren Gruppe der Arbeitsmigranten, die sich – vor allem über die Gewerkschaft – innerhalb der deutschen Strukturen organisierte und selbst „den Weg in die Aufnahmegesellschaft öffnete“ (13).
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.3132.354.422.612.343 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Hedwig Richter / Ralf Richter: Die Gastarbeiter-Welt. Paderborn u. a.: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35501-die-gastarbeiter-welt_42818, veröffentlicht am 07.02.2013. Buch-Nr.: 42818 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken