Skip to main content
Ingrid Kurz-Scherf / Alexandra Scheele (Hrsg.)

Macht oder ökonomisches Gesetz? Zum Zusammenhang von Krise und Geschlecht

Münster: Westfälisches Dampfboot 2012 (Arbeit – Demokratie – Geschlecht 16); 313 S.; 27,90 €; ISBN 978-3-89691-903-8
Inwiefern eröffnet die Kategorie Geschlecht weiterführende Perspektiven auf die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise, deren Ursachen und Auswirkungen? Dies ist eine der zentralen Leitfragen des Sammelbandes, der nicht nur einen Überblick über die wesentlichen feministischen Debatten über die Krise vermittelt, sondern zudem eine kritische Analyse der ökonomischen und politischen Verfasstheit der europäischen Gegenwartsgesellschaften vornimmt. Aus allen Beiträgen lässt sich implizit oder explizit herauslesen, dass es dabei nicht in erster Linie um die Frage geht, ob Männer die Verursacher und Frauen die Leidtragenden der Krise sind. Vielmehr wird deutlich, dass der Einbezug der Geschlechterkategorie einen umfassenden Blick auf Macht- und Herrschaftsverhältnisse im Rahmen des kapitalistischen Systems im Allgemeinen und in der Krise im Besonderen eröffnet. Die Kritik an der mangelnden Berücksichtigung von Geschlechterfragen bedeutet in diesem Sinne vor allem auch eine generelle Herrschafts- und Ideologiekritik, gesucht wird nach ökonomischen und gesellschaftlichen Alternativen. Die Hoffnung, dass die Einsicht in die Krisenanfälligkeit des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus Anlass für grundsätzlichere politökonomische Strukturreformen sein könne, hat sich mittlerweile aber weitgehend zerschlagen. Insofern verwundern die Folgerungen in vielen Beiträgen auch wenig, dass Frauen bislang nicht von der Krisenpolitik profitiert haben, sondern in zahlreichen Bereichen mittlerweile sogar eher schlechter gestellt sind als vorher. Im Übrigen hat dabei selbst in Deutschland nicht einmal der Merkel-Faktor gezogen – so argumentiert etwa Margit Schratzenstaller vergleichend, dass die steuerlichen Konsolidierungsmaßnahmen in Österreich sehr viel positivere Verteilungswirkungen gehabt haben als in Deutschland (ähnlich auch Lena Correll und Lena Schürmann am Beispiel des Instruments des Mikrokredits). Dass es dringend erforderlich ist (und dies nicht nur aus Sicht der Frauen), Alternativen zum gegenwärtigen System zu denken und zu erproben, wird im dritten Teil des Buches erörtert. Im Zentrum dieser Beiträge stehen vor allem die Notwendigkeit einer Überwindung des Erwerbsarbeitsparadigmas als zentralem Vergesellschaftungs- und Integrationsmodus moderner Gesellschaften sowie – allgemeiner – Ansätze einer solidarischen Ökonomie. Dass sich hier die feministische Ökonomie auch selbst an die Nase fassen und sich stärker als bisher um einen Einbezug der wirtschaftlichen Makroebene bemühen muss, darauf weist allerdings bereits Brigitte Young relativ zu Beginn des Buches hin. Der Sammelband stellt aber auch in dieser Hinsicht einen wichtigen Schritt in diese Richtung dar.
Björn Wagner (BW)
Dipl.-Politologe, Doktorand und Lehrbeauftragter, Universität Jena.
Rubrizierung: 2.2 | 2.27 | 2.36 | 2.342 | 2.262 | 2.61 | 2.4 | 3.5 | 4.43 Empfohlene Zitierweise: Björn Wagner, Rezension zu: Ingrid Kurz-Scherf / Alexandra Scheele (Hrsg.): Macht oder ökonomisches Gesetz? Münster: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35336-macht-oder-oekonomisches-gesetz_42560, veröffentlicht am 24.01.2013. Buch-Nr.: 42560 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken