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Hanno Bruchmann / Anna Dobelmann / Annika Hartmann / Aylin Kruse / Manuel Schulz / Sarah Helen Sott (Hrsg.)

Medien und Demokratie in Lateinamerika

Berlin: Karl Dietz Verlag 2012 (Rosa Luxemburg: Manuskripte 95); 298 S.; 16,90 €; ISBN 978-3-320-02281-5
Schon Marx wusste: „Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein.“ (16) Wenn das von der deutschen Presse nicht akzeptiert werden würde, dann wäre – polemisch formuliert – dieser Band die letzte Rettung. Ist er aber nicht – zu den Gründen später, zunächst zum Kernanliegen der Autoren: Ihnen geht es um die Demokratisierung in Lateinamerika und deren Begleitung durch die deutsche Presse: Die „Diskrepanz zwischen der Einschätzung deutschsprachiger Medien einerseits und unserer eigenen Erfahrung [...] auf der anderen Seite ist Anlass genug, das Thema Medien und Demokratie in den Mittelpunkt [...] einer differenzierten Analyse der gesellschaftlichen Wandlungsprozesse“ (11 f.) zu stellen. Der Band unterstellt den deutschen Medien eine Voreingenommenheit, die wiederum in der Tatsache begründet liege, dass diese nur noch dem Markt (Ökonomisierung der Medien), nicht aber mehr ihrer Funktion als „Vierter Gewalt“ verpflichtet seien. Das kann man diskutieren, aber nicht so, wie es der Band versucht. Die zwei größten Einwände lauten folgendermaßen: Die Perspektive, bei der es darum geht, eine falsche, eurozentrische Sichtweise „zu entlarven“ (12), ist problematisch. Beim Wort „entlarven“ schwingen zwei Vorstellungen mit, nämlich, dass hinter der sichtbaren eine nur Eingeweihten bekannte Realität verborgen sei, die das eigentliche Wesen der Dinge ausmache. Derjenige, der entlarvt, weiß um diese verborgene Realität, er verfügt im Vergleich zu den Nicht-Eingeweihten über eine richtigere Weltsicht. Diese Asymmetrie taugt für Belehrungen, aber nicht für wissenschaftliche Analysen. Darüber hinaus lehnen die Herausgeber die Verwendung des Begriffs Demokratie ab – der sei je nach Interessenlage definiert und im Zweifelsfall eher mit Kapitalismus als mit echter Demokratie liiert. Stattdessen müssten die „am wenigsten umstrittenen“ (12) Grundbegriffe dieser Herrschaftsform verwendet werden, nämlich „Freiheit und Gleichheit“ (12) – ein Blick in die gängige Fachliteratur zeigt indes, dass kaum ein Begriff kontroverser war als diese beiden. Deutlich wird die Verlegenheit, in die sich die Herausgeber damit bringen, wenn sie pauschal und undifferenziert andeuten, im „Ideal einer Demokratie“ müssten Freiheit und Gleichheit einander „gegenseitig gewisse Grenzen“ (12) setzen. Die angestrebte Analyse kann so nicht gelingen. Deutlich wird dies etwa im Beitrag von Neuber, der die Gründe für die Einseitigkeit in der Berichterstattung zeigen wollte, jedoch außer der Behauptung eines postkolonialen Abwehrkampfes westlicher Medien keinerlei Daten oder Argumente liefert. Es bleibt nur zu wünschen, dass die Autoren ihre Tagung in Marburg („Los medios de los pueblos? Medien und Demokratie in Lateinamerika“) wiederholen und einen belastbareren Band vorlegen.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.65 | 2.22 | 2.333 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Hanno Bruchmann / Anna Dobelmann / Annika Hartmann / Aylin Kruse / Manuel Schulz / Sarah Helen Sott (Hrsg.): Medien und Demokratie in Lateinamerika Berlin: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35271-medien-und-demokratie-in-lateinamerika_42477, veröffentlicht am 27.09.2012. Buch-Nr.: 42477 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken