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R. M. Douglas

"Ordnungsgemäße Überführung". Die Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg. Aus dem Englischen übersetzt von Martin Richter

München: C. H. Beck 2012; 556 S.; geb., 29,95 €; ISBN 978-3-406-62294-6
Wer sich an das Thema „Vertreibung“ wagt, kann sich der kritischen Aufmerksamkeit innerhalb und außerhalb akademischer Kreise gewiss sein – was sich angesichts der vielen Buchbesprechungen zu Douglas‘ Buch leicht demonstrieren lässt. Douglas ist sich der Schwierigkeiten seiner Studie bewusst. Seine Absicht: Es fehle „eine Studie der Vertreibungen, die sie von allen Seiten betrachtet – von ihren frühesten Ursprüngen an und in allen betroffenen Ländern – und ihre Geschichte bis in die Gegenwart fortschreibt“ (16). Douglas schränkt ein: „Ich erhebe [...] keinen Anspruch auf eine enzyklopädische Behandlung des Themas“ (16) – gerade diese Einschränkung scheinen viele Rezensenten nicht gelesen zu haben, suchen sie doch gerade nach den Lücken in seiner Studie, die Douglas selbst freimütig einräumt. Douglas schreibt über „die Durchführung der Massenvertreibungen, [den] Archipel von Konzentrations-, Internierungs- und Sammellagern, [...] die Implikationen der Vertreibungen für die Entwicklung des Völkerrechts und die zu wenig beachtete Mitwirkung der Westalliierten bei der Operation, die weit über die bloße Zustimmung hinaus ging“ (16). Durch den großen Bogen, den Douglas vom Ende des Ersten Weltkrieges bis in die Gegenwart schlägt, wird nicht nur die Vorgeschichte und die Wirkung der Vertreibungen zwischen 1945 und 1948 deutlich; es wird auch deutlich, dass es den einzigen Anlass und den Spiritus Rector der Vertreibungen nicht gab; auch ein Beneš, dessen Name untrennbar mit den präsidialen Dekreten der ersten Nachkriegsjahre verbunden ist, ist nicht der ausschließliche Vordenker und Antreiber sudetendeutschen Vertreibungselends. Es waren viele Akteure und nicht weniger viele Faktoren, die „wilde Vertreibungen“ entstehen ließen und befeuerten, deren Brutalität und Lebensgefahr für die Vertreibungsopfer in nichts den Rahmenbedingungen der „organisierten Vertreibungen“ nachstanden. Am Ende des Vertreibungsprozesses, den Westalliierte und Vertreibende 1948 abbrachen, standen keine ethnisch „reinen“ Nationalstaaten, stand auch keine Erfolgsgeschichte der „Kolonisierung“ „wiedererlangter Gebiete“. Volkswirtschaftlich war die Vertreibung für die Potsdam-Staaten ein kaum zu bezifferndes Verlustgeschäft, das sie schon während der Hochphase der Vertreibung realisierten, nahmen sie doch beispielsweise Facharbeiter lange von den Vertreibungen aus. Politisch brachte die Vertreibung ebenfalls keine eindeutigen Nutznießer hervor; die westalliierten Staaten verloren Glaubwürdigkeit als human orientierte Demokratiemächte, der stalinistische Osten zerstörte Gesellschaftsstrukturen, nicht zuletzt auch deswegen, weil er die „wiedererlangten Gebiete“ nach der Vertreibung der bisherigen Bewohner durch beinahe ebenso drastische Maßnahmen zu besiedeln suchte.
Axel Gablik (AG)
Dr., Historiker.
Rubrizierung: 4.14.422.3122.3132.352.61 Empfohlene Zitierweise: Axel Gablik, Rezension zu: R. M. Douglas: "Ordnungsgemäße Überführung" München: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35248-ordnungsgemaesse-ueberfuehrung_42447, veröffentlicht am 12.07.2012. Buch-Nr.: 42447 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken