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Steffen Vogel

Abtritt der Avantgarde? Die Demokratisierung des Intellektuellen in der globalisierungskritischen Bewegung

Marburg: Tectum Verlag 2012; 126 S.; pb., 24,90 €; ISBN 978-3-8288-2828-5
Ganz intuitiv ist die Figur des öffentlichen Intellektuellen eng mit Frankreich verbunden. Mit Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir, Michel Foucault oder Pierre Bourdieu hat die Grande Nation eine veritable Genealogie dieser für die öffentliche politische Debatte so wichtigen Spezies hervorgebracht, zu der sich auf deutscher Seite vielleicht der Name von Jürgen Habermas aufdrängt – danach aber auch nicht wirklich viel mehr kommt. Vogel geht in seiner Analyse der öffentlichen Intellektuellen der Frage nach, welche Rolle diese heute auf welche Art und Weise spielen sollten, überhaupt noch spielen können. Konkurrieren sie heute mit Popstars? Sind sie in der zunehmend schneller getakteten Flut medialer Vermittlung überhaupt noch wahrnehmbar? Dass die Diagnose nicht ganz so hoffnungslos ausfällt, wie vielleicht noch am Anfang des Buches zu vermuten stand, liegt an einem fast schon banal klingenden Grund: „Das Bedürfnis nach Sinnstiftung, Deutung und Einordnung wächst in einer immer enger vernetzten und oft komplex verflochtenen Welt eher noch“ (111 f.), so stellt Vogel fest. Allerdings gilt es, die mögliche Reichweite eines qua akademischer Einsicht gewonnenen Steuerungsimpulses richtig einzuschätzen und zudem die Art der Inhaltsvermittlung an die Bedingungen einer permanent global kommunizierenden Moderne anzupassen. Vogels zentrale Einsicht fällt dabei sehr eindeutig aus: Öffentliche Intellektuelle, die per se herausgehobene Persönlichkeiten darstellen, werden sich vom Impetus des Avantgardistischen verabschieden und stärker demokratisieren müssen. Obschon dieser Begriff zunächst etwas kontraintuitiv anmutet, so steckt hierin doch ein wichtiger Hinweis. Der öffentliche Intellektuelle des 21. Jahrhunderts ist zwar auch Solokünstler, er oder sie bedarf jedoch auch eines Resonanzraumes, in dem die eigenen Ideen zum Durchbruch kommen – sprich, wo sie diskutiert, abgewogen, kritisiert und weiterentwickelt werden. Neue mediale Vermittlungskanäle und innovative Protestformen, die – etwa im Falle von Occupy – sich bemühen, den öffentlichen Raum wieder für die Öffentlichkeit anzueignen, ermöglichen eine Reduktion der Distanz zwischen der Figur des öffentlichen Intellektuellen und denjenigen, die seine oder ihre Diagnosen hören wollen. Demokratisierung des öffentlichen Intellektuellen wäre dann nichts weiter als ihre (Wieder-)Aneignung durch die und für die öffentliche Debatte. „Die autoritäre Figur des prophetischen Wortführers“, so Vogels abschließende Einschätzung, „hat ausgedient in einer Welt globaler Informationsströme“ (116).
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.22 | 2.24 | 2.61 | 2.64 | 2.65 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Steffen Vogel: Abtritt der Avantgarde? Marburg: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35206-abtritt-der-avantgarde_42391, veröffentlicht am 02.08.2012. Buch-Nr.: 42391 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken