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Wolf Schmidt

Jung, deutsch, Taliban

Berlin: Ch. Links Verlag 2012; 207 S.; brosch., 16,90 €; ISBN 978-3-86153-663-5
Im Stile einer groß angelegten Reportage zeichnet Schmidt nach, wie verstörend kurz der Weg von einem Bochumer Studentenwohnheim über die ehemalige Al-Quds-Moschee am Hamburger Steindamm bis in die Terrorcamps in Waziristan sein kann. Im Rahmen seiner auf Deutschland fokussierten Darstellung des „Dschihadismus als globaler Ideologie“ (14) begibt er sich auf die Spur jener „gefährlichen Dilettanten“ (12), zu welchen die deutschstämmigen homegrown terrorists hier nur allzu häufig abgestempelt werden: „Wer sind“, so fragt Schmidt, „diese jungen Männer und Frauen, die von Deutschland aus den Dschihad propagieren oder gar selbst in den bewaffneten Kampf gegen die ‚Ungläubigen’ ziehen?“ (21 f.) Und so sehr die Detailfülle seiner Recherchen auch bestechen mag – allzumal jede Gegenwartsdiagnose zunächst auf einer umfassenden Beobachtung beruht – so bleibt nach der durchaus fesselnden Lektüre doch das ungute Gefühl, in dem Buch zwar bestehende Vermutungen über die zunehmende Radikalisierung des islamistischen Fundamentalismus eindrücklich bestätigt zu finden. Etwa dann, wenn es um die kreative Verwendung moderner Kommunikationsmedien wie Internetblogs, Facebook und Twitter durch fundamentalistische Scharfmacher und deren damit immens gesteigerter Reichweite geht. Was allerdings zu kurz kommt – gerade aus wissenschaftlicher Perspektive –, ist die Einordnung des reichlichen und detaillierten Materials. Denn auch, wenn mitunter Erklärungen oder Erklärungsmuster etwa für Radikalisierungswege angeboten werden, so bleiben diese eher oberflächlich und das Bemühen um ein grundsätzlicheres Verstehen der Vorgänge in deutschen Vorstädten kommt zu kurz. Das wird etwa dann deutlich, wenn – inhaltlich zurecht – zum Ende des Buches etwa gefordert wird, dass die bundesrepublikanische Gesellschaft „keine rein sicherheitspolitischen Lösungen von oben“ (182) braucht. Das hätte eigentlich auch schon vor Lektüre des Buches klar sein können, klar sein müssen. Aber den Blick in den Abgrund des deutschen islamistischen Fundamentalismus und Terrorismus gewagt zu haben, bleibt ein sehr wichtiges Verdienst von Schmidts Analyse.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.37 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Wolf Schmidt: Jung, deutsch, Taliban Berlin: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35096-jung-deutsch-taliban_42240, veröffentlicht am 14.06.2012. Buch-Nr.: 42240 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken