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Joseph Jurt

Frankreichs engagierte Intellektuelle. Von Zola bis Bourdieu

Göttingen: Wallstein Verlag 2012 (Kleine politische Schriften 19); 288 S.; geb., 24,- €; ISBN 978-3-8353-1048-3
„Die Soziologie ist ein Kampfsport", so hatte Pierre Carles 2001 seinen Dokumentarfilm über Pierre Bourdieu genannt – in einer etwas breiter gefassten Version würde dieser Titel auch das Buch von Jurt gut beschreiben. Der öffentliche Intellektuelle in Frankreich, der im Wandel des 20. Jahrhunderts Schriftsteller (Émile Zola) oder Wissenschaftler (Bourdieu) sein konnte, wird hier von der Dreyfus‑Affäre bis in die Gegenwart als Impulsgeber eines gesamtgesellschaftlichen Kraftfeldes nachgezeichnet, dessen Wirken eben nicht egal beziehungsweise ohne Auswirkungen geblieben ist. Dieses Kraftfeld zwischen verschiedenen politischen Interessengruppen, Intellektuellen und der – im vorliegenden Fall: französischen nationalen – Öffentlichkeit, so Jurt, ist grundsätzlich umstritten, umkämpft: „Mit der Dreyfus‑Affäre ist ein neues Modell der politischen Intervention entstanden, das für das 20. Jahrhundert wegweisend wird. [...] Die Kontinuität zeigt sich [...] in den Mitteln des Kampfes und der Mobilisierung" (47). Immer ging es dem mitnichten homogenen Spektrum intellektueller Interventionen um die Interpretation dessen, was ist und wie es sein sollte, und immer ging es um die Durchsetzung von Deutungsmacht in der Öffentlichkeit, was Zolas berühmtes „J'accuse!" („Ich klage an!") nur allzu deutlich unterstreicht. Dass die Stimmen der Intellektuellen in Frankreich zum Ende des 20. Jahrhunderts weniger wurden, wie Jurt in seinem Fazit konstatiert, mag insofern erstaunen, als dass gerade angesichts der Hegemonie eines globalen Neoliberalismus die Deutungsbedürftigkeit der Welt nicht abgenommen hat – im Gegenteil. Das Buch bietet eine stark historisch wie auch literaturwissenschaftlich akzentuierte Analyse intellektueller Intervention in Frankreich, die immer auch einen Blick auf die Situation in Deutschland übrig hat – angefangen von Heinrich Heine (der ohnedies ein deutsch‑französischer Grenzgänger war) bis zu Günter Grass und Jürgen Habermas. Und so handelt es sich ohne Zweifel um eine spannende Lektüre nicht nur für Frankreichforscher, sondern auch für Literatur‑ und Geschichtswissenschaftler sowie Diskursanalytiker jedweder Couleur.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.61 | 2.24 | 2.23 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Joseph Jurt: Frankreichs engagierte Intellektuelle. Göttingen: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35085-frankreichs-engagierte-intellektuelle_42227, veröffentlicht am 16.05.2012. Buch-Nr.: 42227 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken