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Yfaat Weiss

Verdrängte Nachbarn. Wadi Salib – Haifas enteignete Erinnerung. Aus dem Hebräischen von Barbara Linner

Hamburg: Hamburger Edition 2012; 286 S.; geb., 25,- €; ISBN 978-3-86854-243-1
Wadi Salib, ein am östlichen Rand von Haifa gelegenes Stadtviertel, rückte im Sommer 1959 in den Blickpunkt der Öffentlichkeit, als sich der Unmut der dort ansässigen jüdischen Bevölkerung Bahn brach und in Auseinandersetzungen mit der Polizei gipfelte. Hintergrund der Eskalation war ein innerjüdischer Konflikt, der sich zwischen Alteingesessenen und Immigranten entwickelt und zu einer ethnischen Diskriminierung der aus arabischen Staaten zugewanderten Juden geführt hatte. Fast vergessen war bei dieser Auseinandersetzung, dass Wadi Salib nur elf Jahre zuvor ein arabischer Stadtteil gewesen und während der Kämpfe im April 1948 von der Hagana erobert worden war, was zu einer Massenflucht der arabischen Einwohner geführt hatte. Yfaat Weiss, Professorin für jüdische Geschichte in Jerusalem, zeichnet in ihrem Buch die Geschichte Wadi Salibs nach und möchte in diesem Zusammenhang „eine Antwort auf die Transformierung der Erinnerung […] geben, der Erinnerung des arabischen Haifas im jüdischen Haifa“ (10). Um eine Geschichtsschreibung des Zerfalls zu vermeiden (vom prosperierenden arabischen Stadtteil im Osmanischen Reich hin zum jüdischen Elends- und Konfliktviertel), geht Weiss gerade nicht chronologisch vor, sondern „kreist“ durch die Historie – von dem engen Zeitrahmen 1948 bis 1959 hin zur ursprünglichen Besiedlung seit dem Bau der Hedschasbahn. Weiss bedient sich damit einer innovativen Form der Geschichtsschreibung, die fünfundzwanzig Lebensläufe und fragmentarische Darstellungen miteinander in Verbindung bringt und außerdem unterschiedliche Disziplinen (Geschichte, Literatur, Recht, Soziologie, Architektur u. a.) verknüpft. Durch diese Vorgehensweise kann Weiss deutlich machen, dass die rechtliche Situation des ehemaligen arabischen Eigentums stets unsicher war und diese Tatsache in Verbindung mit den Einschränkungen der urbanen Entwicklung und der schweren Erinnerungslast gesehen werden sollte. Die spezielle Rechtssituation betrifft alle Bewohner Haifas und hat weitreichende Auswirkungen auf Gefühle wie (ungerechter) Besitzverlust und Identität. Mit ihrem Buch möchte Weiss einen Beitrag zur erinnerungskulturellen Grundsatzdiskussion über „gemischte Städte“ (10) in Israel leisten, die die nur oberflächlich gelungene Aussöhnung zwischen Juden und Arabern nach der Katastrophe 1948 thematisiert und nicht der Vergessenheit anheim fallen lässt.
Ines Weber (IW)
M. A., Politikwissenschaftlerin (Kommunikationswissenschaftlerin, Psychologin), wiss. Mitarbeiterin, Institut für Sozialwissenschaften, Christian-Albrechts-Universität Kiel.
Rubrizierung: 2.63 | 2.25 Empfohlene Zitierweise: Ines Weber, Rezension zu: Yfaat Weiss: Verdrängte Nachbarn. Hamburg: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35075-verdraengte-nachbarn_42214, veröffentlicht am 12.07.2012. Buch-Nr.: 42214 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken