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Viktor Timtschenko

Chodorkowskij. Legenden, Mythen und andere Wahrheiten

München: Herbig 2012; 335 S.; hardc., 19,99 €; ISBN 978-3-7766-2680-3
Der Fall Chodorkowskij ist im Westen zum Symbol rechtsnihilistischer Tendenzen in Russland geworden. Der Journalist Viktor Timtschenko hat nun das Leben des Oligarchen, der für die einen ein rücksichtsloser Betrüger ist und für die anderen das Opfer skrupelloser Machthaber im Kreml, umfangreich recherchiert. Der Autor weist nachdrücklich darauf hin, dass der Geschäftsmann kein lupenreiner Demokrat sei und sein Vermögen mit dubiosen Methoden verdient habe. Sein gesellschaftliches Engagement sei ebenso das Produkt einer gezielten PR-Maschinerie gewesen wie der angebliche westliche Unternehmensstandard des Jukos-Management. Mit Blick auf die Auseinandersetzung zwischen Chodorkowskij und der russischen Justiz beziehungsweise dem Kreml versucht Timtschenko zwar durchaus, Antworten auf zentrale Fragen zu geben. Doch wo Fakten nicht für sich sprechen, werden Relativierungen und der Fingerzeig gen Westen bemüht. Die Justiz unter Putin sei nicht unabhängig, heißt es beispielsweise, dies sei aber auch unter Jelzin nicht anders gewesen. Dem Vorwurf, dass von den vielen Oligarchen gerade Chodorkowskij inhaftiert wurde, entgegnet der Autor, dass in Deutschland von mehreren Steuerstrafverfahren gegen hochrangige Persönlichkeiten lediglich der Fall Zumwinkel öffentlich bekannt worden sei. Warum Chodorkowskij trotz eindringlicher Warnungen aus dem Kreml nach Russland zurückkehrte, sei auf die „Fehleinschätzung seiner selbst“ (196) zurückzuführen. Timtschenko ist darum bemüht, Putin von jeglichen Anschuldigungen fernzuhalten: „Wenn es in Russland tatsächlich Räuber gibt, dann sind es gewiss nicht diejenigen [im Kreml], die Chodorkowskij bestraft haben“ (260). Nur mit geringen Einschränkungen ist der Tenor des Buches, dass Chodorkowskij der böse und Putin der rechtschaffene Mann sei. Der russischen Realität und den Dimensionen des Falls Chodorkowskij aber werden Aussagen wie diese nicht gerecht: „Tatsächlich ist Russland kein Rechtsstaat im engen Sinne des Wortes. [...] Aber auch im unredlichen Russland ist ‚Mord Mord und Diebstahl Diebstahl‘“ (35). Solche Einschätzungen verwundern auch in Anbetracht des Falls Sergej Magnitskij und der noch immer ungeklärten Hintergründe der Morde an Anna Politkowskaja und Natalja Estemirowa.
Hilmar Girnus (HG)
M. A., Politikwissenschaftler, Praktikant bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).
Rubrizierung: 2.62 | 2.23 | 2.21 | 2.25 Empfohlene Zitierweise: Hilmar Girnus, Rezension zu: Viktor Timtschenko: Chodorkowskij. München: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35050-chodorkowskij_42184, veröffentlicht am 16.05.2012. Buch-Nr.: 42184 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken