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Erhard Crome

Der libysche Krieg des Westens. Hintergründe und Zusammenhänge des sogenannten Arabischen Frühlings

Berlin: Das Neue Berlin 2011 (spotless 248); 94 S.; brosch., 5,95 €; ISBN 978-3-360-02057-4
Deutsche Medienvertreter nahmen die Aufstände gegen den libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi zumeist als einen weiteren Brandherd der arabischen Revolution wahr: Nach dem tunesischen und dem ägyptischen erkannte nun auch das libysche Volk die Zeichen der Zeit und begehrte gegen Despotismus und Korruption auf, um sein Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Erste Zweifel an dieser Deutung entstanden, als der Bürgerkrieg begann und Teile der vermeintlich durchweg demokratischen Revolutionäre sich als hochbewaffnete Rebellen und verlängerter Arm lokaler Herrschaftsclans entpuppten. Die NATO schritt dennoch ein; Deutschland enthielt sich bei der Abstimmung, die USA hielten sich militärisch zurück, aber insbesondere Frankreich und England unterstützten die Aufständischen mit Luftangriffen gegen Gaddafi. Erhard Crome macht in dieser kritisch-provokanten Auseinandersetzung mit dem militärischen Engagement der NATO-Staaten nicht nur auf handfeste geostrategische und ökonomische Interessen des Westens aufmerksam, die sich hinter einer wohlfeilen Menschenrechtsrhetorik verbergen. Sein Buch versteht sich auch als eine Mahnung an all jene, die dazu neigen, die politische Situation in Ägypten, Libyen, Tunesien, Oman, Jemen und Syrien schlichtweg gleichzusetzen. Der Aufstand gegen das System Gaddafi sei weniger durch Demokratiebestrebungen motiviert gewesen als vielmehr Ausdruck schwelender Regionalkonflikte um eine Ressourcenverteilung. In der Tat, die sogenannten Freiheitskämpfer setzten sich aus „über vierzig verschiedene[n] Militärformationen“ (79) zusammen, von denen einige wahrscheinlich intensive Kontakte zu Al Kaida unterhalten. Ob diese heterogene und hochbewaffnete Befreiungsfront ihre Machtinteressen einer gewählten Regierung unterordnen oder sich Libyen in ein zweites Afghanistan verwandeln wird, entscheidet sich aus Cromes Sicht in der nahen Zukunft. Offen bleibt daher auch die Frage, ob die strategische Entscheidung, Gaddafi fallen zu lassen und auf seine inneren Feinde zu setzen, den Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen des Westens mittel- bis langfristig wirklich dienen wird.
Marius Hildebrand (HIL)
M. A., Politikwissenschaftler, Doktorand, Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 4.41 | 2.67 | 4.3 Empfohlene Zitierweise: Marius Hildebrand, Rezension zu: Erhard Crome: Der libysche Krieg des Westens. Berlin: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/34903-der-libysche-krieg-des-westens_41957, veröffentlicht am 19.04.2012. Buch-Nr.: 41957 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken