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Andreas Wittkowsky

Grand Hotel Kosovo. Schlaglichter einer europäischen Staatsbildung

Berlin: Lit 2011 (Politikwissenschaft 182); 189 S.; brosch., 19,90 €; ISBN 978-3-643-11425-9
Die post-bipolare Interventionspolitik der internationalen Gemeinschaft gegenüber Kriegs- und Krisenregionen hat neue Literaturgenres hervorgebracht. Neben der sogenannten Heimkehrerliteratur von Soldaten, die an diesen Interventionen militärisch mitwirkten, gibt es mittlerweile auch eine Reihe von Binnenansichten ziviler Wiederaufbauhelfer, die Einblick in den mühseligen, oftmals absurden Alltag der Friedensschaffung gewähren. Wittkowsky, der von Januar 2001 bis Oktober 2008 in verschiedenen Funktionen für die United Nations Interim Administration Mission in Kosovo (UNMIK) tätig war, liefert mit seinen „Schlaglichtern“ einen solchen Einblick in den Interventionsalltag im Kosovo. Das Buch ist nicht als wissenschaftliche Studie angelegt; zusammengestellt sind persönliche Berichte und Eindrücke, die Wittkowsky im Laufe seiner Tätigkeit nach Deutschland schickte, weil „in der Heimat nicht alle verstehen, wie – und warum – ein Deutscher am Anfang des 21. Jahrhunderts fremdes Land regieren soll“ (13). Den Rahmen bilden kurze Darstellungen der Chronik des Kosovo-Konflikts sowie der wichtigsten Eckdaten der UNMIK. In ironischem Ton, der dem Leser kleine Lacher entlockt, die ob der geschilderten Sachverhalte jedoch oft im Halse stecken bleiben, schildert Wittkowsky die Herausforderungen und Unbilden des wirtschaftlichen Wiederaufbaus, mit dem er als Mitarbeiter des EU-Pfeilers der UNMIK betraut war. Seine Ausführungen machen eines ganz deutlich: Die internationalen Verwalter sind keine mächtigen Herrscher, die nach ihren Vorstellungen schalten und walten können. Vielmehr erscheinen sie in den Episoden oft als machtlose tragische Helden, „getrieben von einer internationalen Gemeinschaft, deren unrealistische Erwartungen nur noch von ihrem Hunger nach Erfolgsmeldungen übertroffen wird, und getrieben von den Politikern des Kosovo, die ihre Geschicke endlich selbst in die Hand nehmen wollen“ (173). Die Alltagspraktiken der Intervention werden von mühevollen Verhandlungen der internationalen Akteure untereinander und mit ihren lokalen Partnern bestimmt; Ergebnis sind häufig fragwürdige Kompromisse. Zusammen mit gleichartigen Büchern stellen Wittkowskys Eindrücke aus dem Kosovo eine neuartige, wertvolle Informationsquelle für eine stärker soziologische oder ethnologische Beschäftigung mit internationalen Interventionen dar, deren Auswertung bis dato weitgehend aussteht. Insgesamt ist das Buch eine leichte, aber dennoch nachdenklich stimmende Lektüre für alle, die sich jenseits abstrakter Konzepte ein Bild vom Alltag internationaler Friedensmissionen machen wollen.
Berit Bliesemann de Guevara (BB)
Dr., Dipl.-Pol., wiss. Mitarbeiterin, Institut für Internationale Politik, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.61 | 2.1 | 2.2 | 4.41 | 3.6 Empfohlene Zitierweise: Berit Bliesemann de Guevara, Rezension zu: Andreas Wittkowsky: Grand Hotel Kosovo. Berlin: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/34740-grand-hotel-kosovo_41756, veröffentlicht am 01.03.2012. Buch-Nr.: 41756 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken