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Andrea Livnat

Der Prophet des Staates. Theodor Herzl im kollektiven Gedächtnis Israels

Frankfurt a. M./New York: Campus Verlag 2011; 307 S.; kart., 34,90 €; ISBN 978-3-593-39486-2
Geschichtswiss. Diss. LMU München; Begutachtung: M. Brenner. – „Herzl wurde während des Aktes der Staatsgründung als symbolischer Gründervater und ‚Prophet des Staates’ verewigt.“ (13) Sein Stellenwert im kollektiven Gedächtnis Israels schien damit festgeschrieben – nicht aber, wie seine Gedanken zu interpretieren sind. Aus den Veränderungen dieser Interpretationen im Laufe der Jahrzehnte lassen sich nach Ansicht der Autorin Aussagen über die israelische Gesellschaft ableiten. Sie geht diesen Veränderungen zwischen 1948 und 2004, Herzls 100. Todesjahr, in drei Bereichen nach. Betrachtet werden die politisch-ideologischen Auseinandersetzungen und täglichen Diskurse, die Wahrnehmung Herzls in der Erziehung und im kulturellen Bereich. Livnat stellt fest, dass sich Linien ziehen lassen, die in vorstaatlicher Zeit wurzeln – schon damals standen sich „drei ideologische Gruppierungen gegenüber. Das stärkste Lager war die linke Arbeiterbewegung. In Opposition dazu standen die als rechts zu bezeichnenden Revisionisten.“ (11 f.) Die Religiösen bildeten eine dritte Gruppe. Bereits aus diesem Spektrum lässt sich eine breite kulturelle Vielfalt der Gesellschaft herauslesen. Entsprechend arbeitet Livnat heraus, dass die Erinnerung an Herzl „für politische Zwecke instrumentalisiert und von unterschiedlichen ideologischen Ausrichtungen für sich beansprucht wurde“ (190) – die politische Rechte beharrt darauf, dass Herzl einen rein jüdischen Staat gewollt habe, was die Autorin unter Hinweis auf dessen Schriften als unrichtig zurückweist. Demgegenüber hervorzuheben ist das seit den 1990er-Jahren gültige Geschichtscurriculum. In den neuen Schullehrplänen, die in Politik und Medien diskutiert wurden, werden die Anfänge des Zionismus und Herzls Ideen „erstmals im allgemeinen Zusammenhang mit den nationalen Bewegungen des 19. Jahrhunderts vermittelt“ (214). Der Zionismus werde als moderne Bewegung vorgestellt, die durch den europäischen Nationalismus beeinflusst sei. Dieser Versachlichung an den Schulen stehe eine fast unveränderte Kinder- und Jugendliteratur gegenüber, die der ideologischen Sichtweise verhaftet bleibe. „Heimatliebe und Patriotismus sowie die Aufopferung für Israel sind dabei die stärksten Elemente“ (227) – ohne Berücksichtigung, ob diese Werte für Herzl tatsächlich von Bedeutung waren. Im Kapitel über die kulturelle Annäherung an Herzl zeichnet Livnat schließlich eine teilweise geradezu erfrischende Entmystifizierung nach. In einem Hip-Hop-Song darf Herzl sogar kiffen.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.63 | 2.23 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Andrea Livnat: Der Prophet des Staates. Frankfurt a. M./New York: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/34470-der-prophet-des-staates_41402, veröffentlicht am 02.02.2012. Buch-Nr.: 41402 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken