Skip to main content
Colin Crouch

Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus. Postdemokratie II

Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2011 (edition suhrkamp); 248 S.; 19,90 €; ISBN 978-3-518-42274-8
Crouchs Fortsetzung seines Essays „Postdemokratie“ (siehe Buch-Nr. 34827) kommt – positiv gesprochen – einer Anerkennung des Status quo nach dem Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008 gleich. Negativ gesprochen kapituliert Crouch vor den nach wie vor neoliberalen Verhältnissen in weiten Teilen der Welt – obschon er durchaus plausibel darlegt, dass der „Dominanz neoliberaler Ideen“ (51) historisch wie gegenwärtig nichts Naturgesetzmäßiges anhaftet. Seine zentrale Frage lautet, warum es die von der Chicago School maßgeblich propagierte neoliberale Hegemonie geschafft hat, diese massive Krise zu überleben. Das scheint für Crouch insofern erstaunlich, als sich dieses Überleben trotz einer so ordentlichen Diskreditierung des freien Spiels des Marktes, wie sie durch die massiven Staatsinterventionen zur Bankenrettung offensichtlich geworden ist, nahezu störungsfrei vollzieht. Mit Blick auf die allgemein verbindliche Festlegung von Entscheidungen reiche eine Betrachtung des Antagonismus von Staat und Markt nicht aus. Vielmehr gelte es, dieses Zweierverhältnis zu einem Dreiecks- (die transnationalen Großkonzerne) und schließlich gar zu einem Vierecksverhältnis (die Zivilgesellschaft) auszuweiten. Während die transnationalen Großkonzerne, die insbesondere durch Maßnahmen im Bereich der Corporate Social Responsibility (CSR) mehr und mehr genuin staatliche Zuständigkeiten besetzten und ihre Finanzmacht in politische Macht transformierten, Teil des Problems seien, sei die Zivilgesellschaft Teil der Lösung. Denn während die transnationalen Großkonzerne – im Gegensatz zur reinen Lehre des Chicagoer Neoliberalismus – weder den Verbraucher noch den Markt, sondern letztlich nur ihre eigenen Interessen im Blick haben, könnte die pluralistisch verfasste Zivilgesellschaft den nötigen Druck auf die Konzerne aufbauen, um dieser Feudalisierung der Gesellschaft entgegenzuwirken. Dass Crouch damit eine klassisch sozialdemokratische Transformationsvorstellung verfolgt, die auf Reform statt auf Revolution setzt, erscheint sympathisch, einzig die Prämisse, von der er ausgeht, ist nicht ganz stimmig. Denn die Zivilgesellschaft befindet sich – wenn man eine Vormachtstellung der Konzerne annimmt – bereits in Abhängigkeit von ihren neuen Herren: Wenn etwa prekäre Beschäftigungsverhältnisse den Arbeitsmarkt dominieren, wo sollen sich dann die Ressourcen für zivilgesellschaftliches Engagement finden? Und so bleibt am Ende die schlimme Vermutung, Postdemokratie wäre letztlich der Befund einer weitgehend vollzogenen Refeudalisierung demokratischer Strukturen.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.2 | 2.22 | 5.43 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Colin Crouch: Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus. Frankfurt a. M.: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/34385-das-befremdliche-ueberleben-des-neoliberalismus_41291, veröffentlicht am 07.06.2012. Buch-Nr.: 41291 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken