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Stefan Kalmring

Die Lust zur Kritik. Ein Plädoyer für soziale Emanzipation

Berlin: Karl Dietz Verlag 2012 (Rosa-Luxemburg-Stiftung: Schriften 18); 399 S.; 29,90 €; ISBN 978-3-320-02263-1
Diss. Berlin. – Kalmring plädiert dafür, wieder utopisch zu denken – und zwar im Sinne eines marxistischen Projektes, das sich der sozialen Emanzipation verschreibt. Mit dieser Studie soll dementsprechend das marxistische Theoriegebäude aktualisiert werden. Neben dem Nachdenken über das theoretische Verständnis des Kapitalismus und über das Verhältnis von Theorie und Praxis sei dabei auch eine Aufarbeitung des politischen Denkens der Linken im 20. Jahrhundert nötig. Letzteres steht im Mittelpunkt des Buches mit dem Ziel einer „schonungslosen Kritik“ (54) der Ansichten, die für die „staatssozialistischen Erziehungsdiktaturen“ (35) Anschlüsse geboten haben. Seine systematisch entfaltete Kritik ist ein Parforce-Ritt durch die verschiedensten Ideen der politischen Linken im 20. Jahrhundert. Zu den zentralen Kritikpunkten zählen zum Beispiel die Ignoranz gegenüber den positiven Elementen des Liberalismus – wie etwa die Menschenrechte und die Freiheit des Individuums –, zahlreiche Erblasten von bürgerlichen und damit zu kritisierende Ideen wie auch ein elitäres und staatszentriertes Denken. Neben dieser plausiblen Kritik ist die Beschäftigung mit der Form der Politik, die die meisten neomarxistischen Theorien nach Ansicht des Autors viel zu sehr vernachlässigt haben, positiv hervorzuheben. Kalmring legt in diesen Theorien die Diskrepanz zwischen Form und Inhalt offen, die er umgehen möchte, indem er mit Verweis auf Rosa Luxemburg und Antonio Gramsci eine sozialistische Demokratie befürwortet. Diese zeige sich wegen der Tendenzen zur Oligarchie einer Elite skeptisch gegenüber Parlamentarismus, Parteien, Repräsentation und den bürgerlichen Formen der Demokratie insgesamt. Die Konzentration liege stattdessen auf der Zivilgesellschaft, die das emanzipatorische Projekt gewaltfrei über direktdemokratische Verfahren und zivilen Ungehorsam voranbringen soll. Das Ziel dabei ist eine Vergesellschaftung aller Lebensbereiche, wozu dann nicht nur ein Wandel der Eigentumsverhältnisse gehört, sondern ebenso eine radikale Demokratisierung aller sozialen Verhältnisse. Leider bleiben diese Ideen weitgehend unausgearbeitet. Trotz dieser Unklarheit und manchmal etwas redundanter Darstellung handelt es sich um ein lesenswertes Buch, das zwar nicht unbedingt neue Ideen in die Debatte einbringt, aber zumindest bekannte neomarxistische Gedanken aus einem ganzen Jahrhundert auf interessante Weise zusammenwebt und mit dem nötigen kritischen Blick betrachtet.
Jan Achim Richter (JAR)
Dipl.-Politologe, Doktorand, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.22 | 5.43 Empfohlene Zitierweise: Jan Achim Richter, Rezension zu: Stefan Kalmring: Die Lust zur Kritik. Berlin: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/34317-die-lust-zur-kritik_41186, veröffentlicht am 01.11.2012. Buch-Nr.: 41186 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken