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Sebastian Friedrich (Hrsg.)

Rassismus in der Leistungsgesellschaft. Analysen und kritische Perspektiven zu den rassistischen Normalisierungsprozessen der "Sarrazindebatte"

Münster: edition assemblage 2011; 262 S.; 19,80 €; ISBN 978-3-942885-01-0
Auch wenn die Diskussion um die Thesen von Thilo Sarrazin ein Jahr nach Veröffentlichung seines Buches „Deutschland schafft sich ab“ abgeebbt ist, habe das „reaktionäre Wissen […] Effekte auf Gegenwart und Zukunft“ (8). Daher fragen die Autoren des Sammelbandes danach, wie und warum die Sarrazin-Debatte derartig wirkmächtig werden konnte und welche Folgen sie hat. Der Herausgeber selbst macht in seiner umfassenden Einleitung (die als ein eigenständiger Beitrag angesehen werden kann) deutlich, dass die Sarrazindebatte nur die Initialzündung für eine wesentlich bedenklichere Diskursverschiebung nach rechts war, in der ehemals tabuisierte Themen wieder hoffähig und Normalisierungsprozesse eingeleitet werden, die drei Effekte hervorrufen: Erstens brach sich erneut eine Islam-Debatte Bahn, in der das Beharren auf einer „Leitkultur“ und einer „deutschen Identität“ (20) diskutiert werden; zweitens wird der Rassismus in Aussagen von bekannten Politikern relativiert („Also bitte keine Feigheit mehr vor Worten wie Rasse, Juden, Muslime!“ [21]); drittens rekurriert Sarrazin – indem er Probleme von „Transferempfängern“ individualisiert und entpolitisiert – auf eine Leistungsideologie und sieht Migranten vorrangig unter Nützlichkeits- und Verwertungsaspekten. Jener dritte Effekt ist eine Verschränkung von Rassismus und Ökonomiediskurs, der mit der Vorstellung von einer Leistungsgesellschaft eng verwoben ist. Dieser Verschränkung widmen sich auch Tsianos und Pieper. Für sie ist die Krise des Neoliberalismus verbunden mit einer Begrenztheit der postliberalen Demokratie, die wiederum eine neue Dimension des Rassismus eröffne. Besonders Kopftuch- und Burkaträgerinnen werden als „Schläfer“ verdächtigt und damit radikalisiert oder gelten als signifikant für Differenz und Unterdrückung – eine Entwicklung, für die sie die Bezeichnung „postliberaler Rassismus“ (115) vorschlagen. Insgesamt präsentiert Friedrich einen eher linkskritischen, aber doch aufrüttelnden und bisweilen nachdenklich machenden Sammelband, mit dem er „Anstöße für den Alltag, die politische Praxis und für theoretische Auseinandersetzungen“ (9) geben will.
Ines Weber (IW)
M. A., Politikwissenschaftlerin (Kommunikationswissenschaftlerin, Psychologin), wiss. Mitarbeiterin, Institut für Sozialwissenschaften, Christian-Albrechts-Universität Kiel.
Rubrizierung: 2.35 | 2.36 Empfohlene Zitierweise: Ines Weber, Rezension zu: Sebastian Friedrich (Hrsg.): Rassismus in der Leistungsgesellschaft. Münster: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/34215-rassismus-in-der-leistungsgesellschaft_41056, veröffentlicht am 27.01.2012. Buch-Nr.: 41056 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken