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Peter-Alexis Albrecht (Hrsg.)

Zeitströme. Lebenslinien im realen Sozialismus der DDR: Mitwirkung und Anpassung

Berlin: BWV Berliner Wissenschafts-Verlag GmbH 2011 (Schriftenreihe der Dr. Walter und Margarete Cajewitz-Stiftung 3); 338 S.; 29,- €; ISBN 978-3-8305-1897-6
Auch im dritten Band der Schriftenreihe der Cajewitz-Stiftung werden historische Ereignisse anhand verschiedener Lebensgeschichten vorgestellt. Während im ersten und zweiten Band vorrangig Geschichten um und aus einem Berliner Waisenhaus für jüdische Kinder dokumentiert wurden, werden nun die Lebenslinien von Bewohnern eines Berliner Seniorenzentrums nachgezeichnet. Ausgangspunkt der historischen und soziologischen Dokumentation sind Gesprächsrunden, die den Herausgeber dazu bewegten, das Leben im realexistierenden Sozialismus fern von Interpretationsversuchen über die Gesellschaft der DDR aus der Innenperspektive der sechs Protagonisten zu erfassen und festzuhalten. Der Band soll aufzeigen, „wie Menschen in der Gesellschaftsordnung der DDR versucht haben, ihnen wichtige Ideale umzusetzen und mit deren Missbrauch fertig zu werden“ (12). Der Band vermittelt dabei keine einseitige Sichtweise, sondern lässt sowohl überzeugte Funktionäre, vitale Pragmatiker sowie „Paradiesvögel, wenngleich systemstabilisierende“ (Vorwort) sowie Künstler zu Wort kommen. Franz Faber ist beispielsweise ein solcher Paradiesvogel. Als Journalist wird er vom DDR-Regime nach Vietnam und in den Nahen Osten geschickt, wo er lange Zeit lebt. Er bewältigt den Spagat zwischen Beruf und Berufung. „Vom Sozialismus im Detail liest man bei ihm nichts. Er schweigt über die politische Lager-Einteilung der Welt. Er äußert sich vielmehr poetisch“ (18). Mit Hilfe solcher Lebensgeschichten soll es gelingen – so der Anspruch des Herausgebers – eine Art Selbstbehauptung gegenüber der westlichen Ignoranz, die dem gesellschaftlichen Alltag der DDR kaum Wertbeständiges abringen kann, zu entwickeln. Es geht in diesem Buch nicht um das wiederholte Aufzeichnen von Widerstand und Opposition im realen Sozialismus, sondern um das Reale im alltäglichen Sozialismus. Es geht um Mitwirkungs- und Anpassungsformen in einer nach Westen geschlossenen Gesellschaft, die in sich aber ebenfalls Formen der Selbstverwirklichung, des Glücks und Zufriedenheit aufbieten konnte. Dabei offeriert der Band keine unreflektierte Ostalgie; ganz im Gegenteil, es gelingt eine Dokumentation, die vor allem eines beweist: Der Herausgeber hat seinen Protagonisten zugehört.
Anja Franke-Schwenk (AF)
Dr. des., wiss. Mitarbeiterin, Institut für Sozialwissenschaften (Bereich Politikwissenschaft), Universität Kiel.
Rubrizierung: 2.314 | 2.3 Empfohlene Zitierweise: Anja Franke-Schwenk, Rezension zu: Peter-Alexis Albrecht (Hrsg.): Zeitströme. Berlin: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/34089-zeitstroeme_40880, veröffentlicht am 29.09.2011. Buch-Nr.: 40880 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken