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Birgit Schönau

Circus Italia. Aus dem Inneren der Unterhaltungsdemokratie

Berlin: Berlin Verlag 2011; 221 S.; 18,90 €; ISBN 978-3-8270-0985-2
Birgit Schönau, Rom-Korrespondentin der Wochenzeitung DIE ZEIT, begutachtet „die erste westliche Unterhaltungsdemokratie“ (13) – geschaffen von Silvio Berlusconi. Dieser trat zwar im November 2011 als Ministerpräsident zurück und auf den ersten Blick könnte man meinen, das Thema habe sich damit erledigt. Die Recherchen Schönaus im ganzen Land weisen allerdings auf die Strukturen hin, in denen die politische Kultur Italiens wurzelt und die überhaupt den Aufstieg Berlusconis und seine am eigenen Nutzen orientierte Politik erst ermöglichten. Seine Rückkehr in das Zentrum der politischen Macht kann damit für die Zukunft genauso wenig sicher ausgeschlossen werden wie der Aufstieg eines anderen Politikers mit ähnlich gelagerten Ambitionen. An der Oberfläche ersetzte der Berlusconismus „politische Programme durch Erfolgsbilanzen, Ideen durch Aktienkurse und die Kommunikation mit den Wählern durch perfekt gestylte Werbespots“ (44). Geschützt von der Kulisse einer Fernsehindustrie, die Berlusconi entweder gehört oder auf die er als Ministerpräsident fast ungehindert Einfluss nahm, machte er die Neofaschisten als Koalitionspartner salonfähig und unterstützte es, dass die „Verbrechen des Faschismus mit denen des Kommunismus“ (98) verrechnet und damit geschichtspolitisch entsorgt werden konnten. Nicht zu übersehen ist zudem, dass die Mafia auch unter seiner Regierung ungehindert ihren Geschäften nachgehen konnte. Schönau illustriert dies am Beispiel der illegalen Erntehelfer – ihr Arbeitsmarkt wird von der Mafia nach den gleichen Prinzip organisiert „wie früher die einheimischen Tagelöhner verteilt wurden. Billige Arbeit, null Rechte“ (174). Als besonders symbolträchtig für die Politik Berlusconis steht in diesem Buch die geplante Brücke über die Straße von Messina – Berlusconi ließ das prestigeträchtige Projekt vorantreiben, obwohl die Unverträglichkeit für die Umwelt und die Überdimensionierung angesichts von Wirtschaft und Infrastruktur auf Sizilien stark kritisiert wurden. Ob die Brücke nach seinem Rücktritt gebaut wird, ist ungewiss. Insgesamt tritt in diesem Buch Berlusconi als Protagonist eines Staates auf, der schon lange versagt – nur hat er das medial besser vertuscht. Die Geschichte der Sizilianerin Concetta Albano aber verrät diese Kontinuität des Versagens. Ihre Eltern mussten nach dem Erdbeben an der Straße von Messina 1908 verarmt in Notunterkünfte ziehen, in einen schimmligen Verschlag ohne fließendes Wasser. Signora Albano lebt noch heute dort, so wie 3.000 weitere Familien. Der Staat hat sein Versprechen, wenigstens für neuen Wohnraum zu sorgen, nie gehalten.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.61 | 2.23 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Birgit Schönau: Circus Italia. Berlin: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/33830-circus-italia_40535, veröffentlicht am 18.10.2012. Buch-Nr.: 40535 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken