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Zafer Şenocak

Deutschsein. Eine Aufklärungsschrift

Hamburg: edition Körber-Stiftung 2011; 190 S.; geb., 16,- €; ISBN 978-3-89684-083-7
„Die Islamdebatte ist dabei, völlig aus dem Ruder zu laufen“, sorgt sich der Schriftsteller Şenocak, was zur Folge habe, „dass eine kritische innerislamische Auseinandersetzung kaum noch möglich zu sein scheint, ohne einer künstlichen Polarisierung im Kampf der Kulturen Munition zu liefern“ (185). Damit stellt er zweifelsfrei klar, dass auch den Migranten selbst Verantwortung für ihre Integration zukommt. Vor allem hält er aber in diesem autobiografisch eingefärbten und einfühlsam geschriebenen Essay den Deutschen einen Spiegel vor. Şenocak erkennt eine spezifische Form ihrer Abschottung: Die Deutschen grenzten sich durch die tiefere Bedeutung ihrer Worte im Diskurs der Vergangenheitsbewältigung ab. Die Einwanderer müssten daher nicht einfach nur die deutsche Sprache erlernen, um sich einen Zugang zur Gesellschaft erschließen zu können, sondern sich auch hineinfühlen. Aber wie berechtigt ist diese Anforderung der Deutschen, die von Integration sprechen, obwohl sie nach Beobachtung Şenocaks Assimilation meinen? Warum diese Angst vor anderen Kulturen? „Brauchen die Deutschen vielleicht Angstzustände, um sich selbst wahrzunehmen?“ (113) Der Schriftsteller singt dagegen ein Loblied auf die Zweisprachigkeit, auf das Kennen und Einfühlen in zwei Kulturen – die nur in ihren eigenen Grenzen auch Konturen haben. Den Deutschen aber erscheine eine Vielvölkerrepublik „wie ein Verlust des eigenen Territoriums an ausländische Mächte“ (137), bedauert Şenocak und kritisiert, dass die moderne Türkei ignoriert werde, sie passe nicht zu den Versuchen, die Türken als Andere auszugrenzen. Das sei eine ideologische Identitätspolitik – die Spaltung der Deutschen durch die Moderne halte immer noch an, so der bedenkenswerte Vorwurf. Tatsächlich aber gebe es „keine deutsche Leitkultur, in die sich andere integrieren müssen. Wohl aber eine Zivilisation auf der Basis universeller Werte, ein zivilisatorischer Prozess, der durch die Aufklärung und Säkularisierung eingeleitet worden ist“ (156). Werde also über eine Leitkultur debattiert, habe es nicht um Hefeweizen und Schweinebraten zu gehen, „sondern um die Werte eines Rechtsstaates, der seinen Bürgern Freiheit und Menschenrechte garantiert“ (166). Şenocak fordert die Deutschen auf, in der Gegenwart anzukommen und die Kulturen der Einwanderer endlich als Bereicherung zu empfinden – und damit diese Menschen Teil der Gesellschaft werden zu lassen.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.35 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Zafer Şenocak: Deutschsein. Hamburg: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/33780-deutschsein_40464, veröffentlicht am 23.06.2011. Buch-Nr.: 40464 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken