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Hope M. Harrison

Ulbrichts Mauer. Wie die SED Moskaus Widerstand gegen den Mauerbau brach. Aus dem Amerikanischen von Klaus-Dieter Schmidt

Berlin: Propyläen Verlag 2011; 506 S.; geb., 24,99 €; ISBN 978-3-549-07402-2
Walter Ulbricht habe Chruschtschow mit seiner Forderung, die Mauer bauen zu wollen, so unter Druck gesetzt, dass dieser schließlich nachgegeben habe – so lautet die These der US-amerikanischen Historikerin Hope M. Harrison. Sie ist daher der Ansicht, dass der Rolle der DDR als Superverbündeter der Sowjetunion mehr Gewicht eingeräumt werden müsse. Allerdings sind die russischen Quellen, die Harrison als Erste herangezogen hat, keineswegs nur so zu interpretieren, ihre Position ist daher nicht Allgemeingut. Autoren wie Michael Lemke und Gerhard Wettig etwa sehen in Chruschtschow den Hauptverantwortlichen des Mauerbaus. Auch deckten sich die Interessen der Kommunisten in der Sowjetunion und in der DDR – es galt, die krisenhafte Situation in der DDR zu stabilisieren. Der Mauerbau habe also auch, so Lemke und Wettig, im sowjetischen Interesse gelegen. Dem kann schwerlich widersprochen werden. Gleichwohl ist Harrisons Studie aufschlussreich – etwa durch die oft vernachlässigte Berücksichtigung personeller Faktoren. Die Autorin untersucht allerdings nur im letzten Drittel des Buches den Mauerbau. Zuvor geht es um die sowjetisch-ostdeutschen Beziehungen nach Stalins Tod sowie nach Chruschtschows fulminanter Rede auf dem XX. Parteitag 1956, ferner um die Berlinkrise 1958-1961 mit Blick auf das sowjetisch-ostdeutsche Verhältnis. Ulbricht erwies sich nach ihren Erkenntnissen als Hardliner, der Chruschtschow nicht immer ergeben war. So konnte er 1958 die sowjetische Unterstützung erlangen, um die innerparteilichen Kontrahenten Fred Oelßner, Karl Schirdewan und Ernst Wollweber auszuschalten. Und bereits 1953 hatte Ulbricht, dem der „Neue Kurs“ der Sowjetunion nicht zupass kam, seine Gegner Rudolf Herrnstadt und Wilhelm Zaisser eigenmächtig ausgebootet. Aber widerspricht sich Harrison nicht selbst, wenn sie schildert, wie Breschnew 1971 Ulbricht durch Honecker ersetzen ließ? Schließlich war die DDR Anfang der 70er-Jahre nicht abhängiger von der Sowjetunion geworden. Bei allen Widersprüchlichkeiten handelt es sich dennoch um eine instruktive, aus den Quellen gearbeitete Studie, die trotz ihrer umstrittenen Interpretationen die Wissenschaft weiterführt.
Eckhard Jesse (EJ)
Prof. Dr., Institut für Politikwissenschaft, Technische Universität Chemnitz.
Rubrizierung: 4.1 | 2.314 | 2.62 Empfohlene Zitierweise: Eckhard Jesse, Rezension zu: Hope M. Harrison: Ulbrichts Mauer. Berlin: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/33776-ulbrichts-mauer_40460, veröffentlicht am 28.07.2011. Buch-Nr.: 40460 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken