Skip to main content
Kari Palonen

"Objektivität" als faires Spiel. Wissenschaft als Politik bei Max Weber

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2010; 205 S.; 29,- €; ISBN 978-3-8329-5740-7
Das Zerrbild von Max Weber als eines wertneutralitäts- und objektivitätsgläubigen Positivisten hat sich seit langem erledigt. Wie können dann aber seine methodologischen Schriften, insbesondere sein Aufsatz über „Die ‚Objektivität’ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis“ von 1904, interpretiert werden? Palonen, der bereits mehrere Publikationen zu Weber vorgelegt hat, präsentiert einen äußerst instruktiven Kommentar zu diesem Aufsatz, in dem er zeigt, dass Weber am Begriff der Objektivität zwar festhält, ihn aber rhetorisch umdeutet. Wissenschaft meint für ihn keinen erhabenen monokratischen Szientismus, wie er insbesondere dem naturwissenschaftlichen Ideal zugeschrieben und von Kritikern immer wieder betont wird. Palonen wendet Webers perspektivistischen und handlungstheoretischen soziologischen Ansatz auf die Wissenschaft selbst an, die – so verstanden – primär eine rhetorische Praxis von Akteuren, die Konflikte untereinander austragen, bezeichnet. Wissenschaft ist immer schon ein Politikum. Doch wenn Webers Wissenschaftsbegriff in Palonens Interpretation einen durchgehend politischen Charakter erhält, sollte dies nicht mit Politik verwechselt werden, denn am Prinzip der Objektivität zweifelt Weber nicht. Objektivität bedeutet für Weber kein inhaltliches Gütekriterium einer bestimmten Aussage, sondern das Prinzip des Fair Play, welches Konflikte reguliert, ohne sie einzuebnen, wie er es vor allem im Pro und Kontra des englischen Parlamentarismus vorfindet. Der parlamentarische Gegensatz von subjektiver Rede und Gegenrede wird so zu einem heuristischen Prinzip, dem Weber rhetorisch geschickt den Namen „Objektivität“ gibt – was er übrigens durch die Setzung von Anführungszeichen auch deutlich hervorhebt. Mit dieser Analogiebildung von Wissenschaft und Parlamentarismus wissen Weber-Kenner wie Palonen auch, wo die größte Gefahr für die Wissenschaft lauert: nicht in der Subjektivität der Forscher und ihrem ewigen Gespräch, sondern in der Bürokratisierung der Universität und der Verwandlung von Fakultäten in um Ressourcen kämpfende Verwaltungsorgane.
Frank Schale (FS)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Professur für Politische Theorie und Ideengeschichte, Technische Universität Chemnitz.
Rubrizierung: 5.46 | 5.42 Empfohlene Zitierweise: Frank Schale, Rezension zu: Kari Palonen: "Objektivität" als faires Spiel. Baden-Baden: 2010, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/33487-objektivitaet-als-faires-spiel_40075, veröffentlicht am 30.03.2011. Buch-Nr.: 40075 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken