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Hans Meyer

Die Zukunft des Bundestagswahlrechts. Zwischen Unverstand, obiter dicta, Interessenkalkül und Verfassungsverstoß

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2010; 114 S.; 32,- €; ISBN 978-3-8329-6144-2
Der Verfassungsrechtler Meyer legt angesichts neuerer Diskussionen um Mehrheitswahl, Überhangmandate, „doppeltes“ und „negatives“ Stimmengewicht eine Streitschrift zur Wahlrechtsreform vor. Dabei zeigt er nebenbei, dass sich der Charakter von Verfassungsrechtsprechung so richtig erst vor dem Hintergrund längerer Spruchreihen im Laufe der Zeit erhellt. Das Bundesverfassungsgericht sei hinsichtlich seiner wissenschaftlichen Reflexion der Wahlsysteme bisweilen bei einem „naiven Vorverständnis“ (7) der „frühen fünfziger Jahre“ (14) stehen geblieben, schreibt Meyer. Es habe den Funktionswandel des Mehrheitswahlsystems als – gegenüber der Fünf-Prozent-Klausel noch viel rigideres – Mittel der Mehrheitsbeschaffung überhaupt nicht richtig erfasst. Auch sei die Judikatur mit unverbindlichen obiter dicta gespickt, die rechtspolitisch instrumentalisiert würden, um bei späteren Entscheidungen „den Eindruck einer gefestigten ‚Rechtsprechung’“ (15) zu suggerieren. Meyer spielt von hier aus, unter ausführlicher Berücksichtigung der politikwissenschaftlichen Diskussion, verschiedene Reformmöglichkeiten durch, um dem „dialektischen“ Befund abzuhelfen, dass die Zunahme von Überhangmandaten letztendlich Ergebnis des Zweitstimmenverlustes, also eine „Prämie auf die Schwäche der [...] ‚großen’ Parteien“ (109), ist. Das geschehe in ganz erheblicher Weise (bei der Bundestagswahl 2009: 24 Mandate, was ca. 1,5 Millionen Stimmen entspricht) und sei systemwidrig, da sich hier der Aspekt der Mehrheitswahl vollständig auf Kosten der Verhältniswahl durchsetze, an der die Bundestagswahl ausgerichtet ist. Da weder Ausgleichsmandate noch eine Vergrößerung der Wahlkreise oder gar die Einführung von „Zweierwahlkreisen“ sich als praktikabel erwiesen haben, plädiert er konsequent für die (Wieder-)Einführung des Einstimmensystems, denn eine „wesentliche Ursache von Überhangmandaten ist das ursprünglich im Bundestagswahlrecht nicht vorgesehene Zweistimmensystem“ (108).
Robert Chr. van Ooyen (RVO)
Dr., ORR, Hochschullehrer für Staats- und Gesellschaftswissenschaften, Fachhochschule des Bundes Lübeck; Lehrbeauftragter am OSI der FU Berlin sowie am Masterstudiengang "Politik und Verfassung" der TU Dresden.
Rubrizierung: 2.332 | 2.32 | 2.323 Empfohlene Zitierweise: Robert Chr. van Ooyen, Rezension zu: Hans Meyer: Die Zukunft des Bundestagswahlrechts. Baden-Baden: 2010, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/33476-die-zukunft-des-bundestagswahlrechts_40063, veröffentlicht am 30.03.2011. Buch-Nr.: 40063 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken