Blicke Ost – Blicke West
Für viele Deutsche sind der Osten Europas und unsere östlichen Nachbarstaaten noch immer die großen Unbekannten, denen mitunter etwas Geheimnisvolles und Unbegreifliches anhaftet. Dabei ist das Unbegreifliche des Ostens häufig nur etwas Unbegriffenes, das sich auf den mangelnden Austausch von Informationen und Personen, die Verständnis und Interesse füreinander wecken könnten, zurückführen lässt. Der von den Städten Thorn (Polen) und Göttingen gemeinsam gestiftete Samuel-Bogumil-Linde-Literaturpreis will darum Menschen ehren, die sich für die Verständigung zwischen Ost und West eingesetzt haben. Im Jahr 2010 wurde er an den an der Viadrina in Frankfurt/Oder lehrenden Historiker Karl Schlögel und an dessen polnischen Kollegen Adam Krzemiński gemeinsam verliehen. Dieser Band enthält die Reden der beiden Preisträger sowie die Laudatio Rudolf von Thaddens, wobei aus der Schrift keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse sprechen, sondern vielmehr persönliche Eindrücke und Erfahrungen aus dem gegenseitigen Miteinander. Schlögel, der erklärt, wie er zum Thema Osteuropa kam, weist den Polen eine Schlüsselposition im europäischen Verständigungswerk zu. Krzemiński berichtet davon, wie er sich früh in Breslau der deutschen Sprache zuwandte, wie er Göttingen und Thorn kennenlernte, wie er angesichts der Solidarność-Bewegung in Polen eine Entwicklung hin zur Sozialdemokratie erwartete und wie er schließlich 1987 das deutsch-polnische Magazin „Dialog” mitbegründete. Er endet mit dem Plädoyer, die Sprache des anderen zu erlernen, denn „eine Fremdsprache zu erlernen, besteht nicht nur darin, lexikalisch die Worte durch andere zu ersetzen, sondern auch die Denkweise des Partners, seine Geschichte, seine Traumata und Sehnsüchte kennenzulernen” (32). Und so liest sich die Schrift als ein Zwischenbericht über die deutsch-polnischen Beziehungen, die in den vergangenen Jahren eine erfreuliche Entwicklung genommen haben, in denen es allerdings auch weiterhin viel zu tun gibt.