Heinrich Himmler bedankte sich am 4. Oktober 1943 in Posen bei geladenen SS-Führern dafür, die stetige Konfrontation mit einer großen Anzahl von daliegenden Leichen „durchgehalten zu haben, und dabei – abgesehen von menschlichen Ausnahmeschwächen – anständig geblieben zu sein“ und etikettierte diese Form von Anstand als „ein niemals genanntes und niemals zu nennendes Ruhmesblatt“. Ebendieser Rede hat Gross, Direktor des Leo Baeck Instituts in London sowie des Jüdischen Museums und des Fritz Bauer Instituts in Frankfurt/Main, seinen Buchtitel entlehnt und damit zugleich seinen semantischen Ausgangspunkt für die vorliegende Sammlung von neun Aufsätzen zum Themenfeld der nationalsozialistischen Moral und ihrer Nachwehen definiert. Bedauerlicherweise liegt also keine umfassende Gesamtdarstellung zum Komplex nationalsozialistischer Moralvorstellungen vor, die somit weiterhin ein Forschungsdesiderat darstellen, sondern ein Konglomerat verschiedener, gleichwohl sehr relevanter Einzelaspekte. Der Autor kann mit seinem mentalitätsgeschichtlichen Ansatz verdeutlichen, dass bestimmte verquere Vorstellungen von Treue, Schande, Ehre, Schuld usw. von enormer Bindungskraft für die NS-Volksgemeinschaft waren, aber auch in unterschiedlichster Weise in die Nachkriegsbewertung und auch -justiz einflossen und bis heute fortwirken. Gross richtet sein Augenmerk dabei unter anderem auf Veit Harlans Film „Jud Süß“ und auf die ambivalente und schillernde Figur des bekennenden Christen, SS-Obersturmführers und Gaskammer-Augenzeugen Kurt Gerstein, aber auch auf Karl Jaspers' berühmtes Pamphlet „Die Schuldfrage“ von 1946 sowie Martin Walsers Paulskirchen-Rede von 1998.