Simon Wiesenthal. Die Biographie. Aus dem Hebräischen von Markus Lemke
„Die Jagd nach Kriegsverbrechern erscheint [...] wie eine Strafe, die er sich selbst auferlegte, und auch wie ein Versuch, Sühne zu tun“. Wiesenthal, der aus einer kleinen Stadt in Ostgalizien stammte, und seine Frau hatten ihr Überleben im Holocaust „der Anständigkeit einiger Deutscher zu verdanken“, weshalb ihn – wie viele andere Überlebende – das Gewissen plagte. „Wiesenthal wollte sich selbst reinigen, so wie das von ihm gepflegte Bewusstsein vom Holocaust die gesamte menschliche Kultur reinigen sollte“ (497 f.). Der Historiker Segev zeichnet die Persönlichkeit Wiesenthals in all ihren Facetten nach und zeigt einen Menschen, der sich mit der Bezeichnung als Nazijäger zwar identifizierte, sich aber nicht von Rachegefühlen, sondern von einem tiefen Sinn für Gerechtigkeit leiten ließ. Den Holocaust sah er nicht allein als jüdische Tragödie an, sondern als menschliche. Den Gedanken der Kollektivschuld lehnte er ab und konzentrierte sich stets auf das Sammeln der Beweise individueller Schuld. Bei seinen Recherchen halfen ihm wiederholt Journalisten, außerdem hielt er engen Kontakt zu Yad Vashem und arbeitete für den israelischen Geheimdienst. Segev schildert allerdings auch, wie sehr Wiesenthal für sein Anliegen kämpfen musste: Weder in Israel war man anfangs sonderlich an der Strafverfolgung der Täter interessiert, noch in Österreich, in dem Wiesenthal sich entschieden hatte zu bleiben. Die Bedeutung der Arbeit, die Wiesenthal trotz vieler Rückschläge unermüdlich leistete, wurde erst im Laufe der Jahrzehnte öffentlich wahrgenommen und anerkannt. Wie wenig selbstverständlich es aber war, als Jude in Österreich zu leben und an der Verfolgung der Verbrechen des NS-Regimes festzuhalten, zeigte sich ausgerechnet im Streit mit Bundeskanzler Bruno Kreisky. Segev schildert diesen als einen Menschen, der um seiner Anerkennung willen alles Jüdische verleugnete und Wiesenthal als Reinkarnation des Anderen sah und sogar verleumdete. Wiesenthal aber, der Ecken und Kanten hatte und vielleicht auch gelegentlich eine nicht nachvollziehbare Nachsichtigkeit zeigte (etwa gegenüber Albert Speer) – so ist der Eindruck, den Segev in dieser außerordentlich gelungenen Biografie vermittelt – hatte trotz des Holocaust nicht den Glauben an die Menschheit verloren und war immer er selbst geblieben.