Reinheit des Rechts. Kategorisches Prinzip oder regulative Idee?
Die Autoren setzen sich mit den Problemen der Rechtstheorie Kelsens auseinander, die auch in der Politikwissenschaft jüngst eine erneute Rezeption erfährt. Im Zentrum fast aller Beiträge steht dabei der Zweifel an dessen Prämisse des naturalistischen Fehlschlusses und der Bestimmung der Rechtswissenschaft als Sollenswissenschaft. Es ist dabei die geteilte Überzeugung der Autoren, dass die Rechtwissenschaft nicht auf Seinaussagen verzichten kann und Kelsen selbst gegen sein Programm der Purifikation verstoßen hat. Ob der zum Teil erhobene Einwand, es gebe keine Reinheit des Rechts, Kelsen überhaupt trifft, ist fraglich. Wie Krings richtig bemerkt, hat Kelsen selbst hervorgehoben, dass aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive das Recht stets eine „strukturelle Kopplung über die Grenzen des Rechtssystems hinaus“ (147) aufweisen muss. Der vor allem für rechtstheoretisch interessierte Politologen aufschlussreiche Band bietet neben juristischen und methodologischen Problemerörterungen auch interessante Beiträge zum (rechts)philosophischen Kontext des 19. und 20. Jahrhunderts sowie allgemeine begriffsgeschichtliche Fragestellungen. Leider kann aber Depenheuers einleitender Beitrag nur als Polemik gegen Kant und Kelsen verstanden werden. In diesem missversteht er den transzendentalphilosophischen Begriff der reinen Vernunft bzw. des reinen Rechts als religiöse Reinheit und bringt ihn in die Nähe der politischen Säuberungsideologien des 20. Jahrhunderts. Dabei werden noch einmal alle gegen den Rechtspositivismus vorgebrachten Stereotype wiederholt. Diese Argumentation mag man nur dann als kritisch bezeichnen, wenn man den Weimarer Diskurs ebenso vergessen hat wie die Positionen derer, die schon einmal zugunsten der „lebensdienlichen Ordnung“ (19) gegen Kelsen polemisierten. Der Band geht auf ein 2009 von der Hanns-Martin-Schleyer-Stiftung organisiertes Seminar zurück.