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Stefan Tobler

Transnationalisierung nationaler Öffentlichkeit. Konfliktinduzierte Kommunikationsverdichtungen und kollektive Identitätsbildung in Europa

Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2010; 304 S.; brosch., 39,95 €; ISBN 978-3-531-17260-6
Politikwiss. Diss. Zürich; Gutachter: K. Imhof, B. Pfetsch. – Der Autor untersucht die Transnationalisierung nationaler Öffentlichkeit. Dabei geht er davon aus, dass es sich bei einer europäischen Öffentlichkeit um ein Emergenzphänomen der nationalen Öffentlichkeiten handeln muss, zumal europäische Medien wie auch europäisch organisierte Akteure fehlen. Einleitend befasst sich der Autor mit Jürgen Habermas’ Modell der bürgerlichen Öffentlichkeit und mit dessen Kritik. Im Zentrum der Untersuchung selbst steht ein Vergleich der medialen und politischen Diskurse um die Zinsbesteuerungsdebatte im Zeitraum von 1996 bis 2005. Es ging um die Frage, ob die nationale Steuerpolitik für den Bereich der Besteuerung von Zinserträgen auf Obligationen natürlicher Personen geregelt werden kann, um die Steuerflucht einzudämmen. Einer kontinentaleuropäischen Koalition unter Führung Frankreichs, Deutschlands und der Europäischen Kommission stand nicht nur Großbritannien gegenüber, das Steuerharmonisierung überhaupt ablehnte, sondern auch eine „Bankgeheimniskoalition“ (247) aus Luxemburg, Österreich und Drittstaaten wie der Schweiz. Toblers Untersuchung erweist, dass überraschenderweise besonders viele europäische Wir-Bezüge nachweisbar waren, als die europäischen Staaten miteinander im Streit lagen. Der Autor erklärt dies so schlicht wie simpel: „Europäische Sprecher rekurrieren vor allem dann auf ein europäisches Wir, wenn sie in dessen Namen von anderen Mitgliedstaaten etwas fordern“ (253). Daraus leitet er ab, dass zivilisierten Konflikten unter EU-Staaten ein größeres Potenzial zur Auslösung von europäischen Identitätsbildungsprozessen innewohnt als Konflikten mit Drittstaaten. Dass auch eine Konfrontation mit einem Drittstaat Identitätsbildungsprozesse mobilisiert, schließt Tobler nicht aus; er bindet dies an eine gleiche Perzeption bedrohter europäischer Ressourcen. Abschließend führt er aus, dass eine weitere Demokratisierung der EU ohne weitere Stärkung des europäischen Zusammengehörigkeitsgefühls riskant sei, da ansonsten zu leicht nationale Öffentlichkeiten als Gegenmacht mobilisiert werden könnten.
Timo Lüth (TIL)
Student, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.5 | 2.22 | 3.4 | 5.42 Empfohlene Zitierweise: Timo Lüth, Rezension zu: Stefan Tobler: Transnationalisierung nationaler Öffentlichkeit. Wiesbaden: 2010, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/32102-transnationalisierung-nationaler-oeffentlichkeit_38291, veröffentlicht am 20.05.2010. Buch-Nr.: 38291 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken