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Michael Bakunin

Konflikt mit Marx. Teil 2: Texte und Briefe ab 1871

Berlin: Karin Kramer Verlag 2011 (Ausgewählte Schriften 6); 1.239 S.; 78,- €; ISBN 978-3-87956-342-5
Der sechste Band der bereits 1995 begonnenen Herausgabe der ausgewählten Schriften Michail Bakunins dokumentiert Texte und Briefe aus bewegten Zeiten. Der deutsch-französische Krieg von 1870/71 war gerade beendet, das Deutsche Reich hatte in Form der kleindeutschen Lösung im Spiegelsaal von Versailles Gestalt angenommen – und mit der Pariser Commune von März bis Mai 1871 war erstmalig eine politische Aktions- und Organisationsform auf die politische Bühne Europas getreten, von der Engels später, nach dem Tode Marxens, meinte, man könne hier erstmals und mit Recht von einer wahrhaftigen Diktatur des Proletariats sprechen. Diese schon beinahe mythologisch überhöhte Chiffre totaler Transformation deutet dabei im Kern bereits an, worum sich der Konflikt zwischen Marx und Bakunin in seinem Kern dreht. Während Marx’ historischer Materialismus der kapitalistischen Gesellschaft seiner Zeit eine geradezu naturnotwendige Teleologie hin zum Kommunismus attestierte – was später bei Karl Kautsky zu einem gewissen „historischen Fatalismus“ (Sven Papcke) führte – gab es für Bakunin ein zentrales Mittel der Transformationserzwingung: Gewalt. Während Marx als Theoretiker der Arbeiterbewegung reüssierte, war Bakunins Existenz als Anarchist und Revolutionär zum einen immer praktisch, zum anderen immer prekär. Dabei gilt seine Kritik sowohl den herrschenden Verhältnissen seiner Zeit wie auch dem holistischen Denkgebäude des Marxismus. Erstere ließen sich für ihn nur im Rahmen einer sozialen Revolution mit dem Mittel der Gewalt überwinden – mit dem Ziel einer freien, föderal organisierten, von den Menschen gemeinsam verantworteten Gesellschaft. Der Marxismus erschien ihm aber insofern gefährlich, da jeder Versuch, Wirklichkeit in Gänze zu erfassen, automatisch in einen Despotismus münden müsse, was – spätestens in der Interpretation durch Lenin – auch den Marxismus höchstselbst betraf. Aus dieser Spannungslage heraus betrachtet nimmt es kaum Wunder, dass Bakunins Kritik auf dem Den Haager Kongress der Internationalen Arbeiterassoziation (IAA, Erste Internationale) von 1872 maßgeblich zu deren Zerbrechen beitrug. Die beiden umfangreich aufgearbeiteten Teilbände mit Texten, Reden und Korrespondenzen fokussieren genau diesen, überaus spannenden und richtungsweisenden Bruch innerhalb der europäischen Arbeiterbewegung. Die angefügten Erläuterungen und Register helfen zusätzlich, das umfangreiche Material zu erschließen.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 5.33 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Michael Bakunin: Konflikt mit Marx. Berlin: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/32015-konflikt-mit-marx_38183, veröffentlicht am 02.02.2012. Buch-Nr.: 38183 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken