Freizügigkeit, Gerechtigkeit, demokratische Autonomie. Das Weltbürgerrecht nach Immanuel Kant als Maßstab der Gerechtigkeit geltenden Aufenthalts-, Einwanderungs- und Flüchtlingsrechts
Beim Thema „Migration“ ist ein Rückgriff auf die Rechtsphilosophie Kants fruchtbar: Schon seine berühmte Definition des Staates als Vereinigung einer Vielzahl von Menschen unter den Gesetzen zeigt, wie modern aus heutiger postnationaler Sicht dieser deutsche Philosoph dachte – eine Denktradition, die der Nationalismus unterbrochen hat, obwohl die normative Staatstheorie seit Aristoteles und Cicero zum europäischen Erbe zählt. Für Kant schien das angesichts der „Migrationsvorgänge“ in Ostpreußen, dem Zusammenleben von Deutschen, Litauern, Masuren Letten, „Nachkommen geflohener niederländischer Mennoniten und französischer Flüchtlinge, [...] Siedlern aus der Schweiz“ (15) usw. offenbar noch ganz selbstverständlich. Keil, der auch an seine vorhergehende Studie anknüpfen kann (Kants Demokratieverständnis und Ausländerwahlrecht heute, 2006, s. ZPol-Nr. 30993), arbeitet die einschlägigen Positionen Kants heraus, um sie dann mit geltenden Bestimmungen des Ausländer-, Flüchtlings- und Staatsangehörigkeitsrechts exemplarisch zu konfrontieren. Damit stellt er zugleich unter Beweis, welchen enormen Beitrag die (politische) Philosophie bei ganz konkreten (rechts)politischen Fragen leisten kann – und zwar gerade auch bei solchen, die durch die Deutungshoheit des engen und verklausulierten, vermeintlich rein juristischen Binnendiskurses im Ausländerrecht beherrscht werden. Wenngleich Kant zwar das grundsätzliche Jedermann-Recht, sich überall aufzuhalten, auch wieder zugunsten der Ortansässigen drastisch einschränkte, so ergibt sich doch mit seiner liberalen Theorie bisweilen ein für die vorherrschende öffentliche Diskussion überraschender, kompletter Perspektivenwechsel: So kommt Keil von hier aus z. B. zu dem Ergebnis, dass nicht die Liberalisierung aufenthaltsbeschränkender Regelungen einer Rechtfertigung bedürfe, sondern dass genau umgekehrt die Einschränkung des „natürlichen“ Aufenthaltsrechts unter permanentem Begründungszwang stehe. Und „Kants Forderung, es müsse sich jeder zur Selbständigkeit empor arbeiten können, wirft ein sehr kritisches Licht auf Kettenduldungen, aber auch auf zu starke Hindernisse im Einbürgerungsrecht, das zudem nicht gesetzlich Anlass zu Gesinnungsprüfungen geben darf“ (127).