Arbeit und Leben: Eine spannungsreiche Ko-Konstitution. Zur Revision zeitgenössischer Konzepte der Arbeitsforschung
Diss. Marburg; Gutachterin: I. Kurz-Scherf. – Der Cultural Turn hat sich zu weiten Teilen in den Sozialwissenschaften längst durchgesetzt. Umso erstaunlicher ist es, dass gerade die Arbeits- und Industriesoziologie (mit einem Forschungsgegenstand, der quasi per definitionem politökonomische und kulturelle Aspekte vereint!) bislang kaum über die Analyse betrieblicher Verhältnisse hinausgekommen ist und dabei individuelle wie auch kollektive gesellschaftliche Zusammenhänge weitgehend vernachlässigt hat. Von daher füllt Janczyk eine bedeutende Lücke in der Arbeitsforschung. Sie begreift das Verhältnis zwischen unterschiedlichen Arbeits- und Lebensbereichen als Gleichzeitigkeit von Autonomie und Abhängigkeit. Dieses komplexe Ko-Konstitutionsverhältnis beruht auf einer Sicht der Moderne, in welcher sich unterschiedliche Bereiche zwar einerseits ausdifferenzieren, ihre wechselseitige Interdependenz aber zugleich zunimmt. Janczyk diskutiert diese Problematiken, indem sie sich mit drei bedeutenden Debatten (feministische Arbeitsforschung, alltägliche Lebensführung, Vereinbarkeitsdebatte) der Arbeitsforschung auseinandersetzt und diese zusammenführt. Dabei treten Hierarchien, Interessenkonflikte und Machtverhältnisse zwischen unterschiedlichen Lebensbereichen zutage. So konstruktiv die Bemühungen der Autorin, den Arbeitsbegriff zu erweitern und gesellschaftlich einzuordnen einerseits sind, so bedauerlich ist es zugleich, dass auch diese Studie letztlich wenig über bereits existierende Debatten hinausreicht. Die Fragestellungen hätten mit ein wenig Mut das Hinausschauen über den disziplinären Tellerrand ermöglicht. So ist zum Beispiel denkbar, dass sich konstruktive Anregungen aus den „everyday life“-Debatten der Cultural Studies oder den Studien zur Konstruktion sozialer Räume der Radical Geography hätten gewinnen lassen. Dennoch bietet die Autorin einen gelungenen Überblick über den gegenwärtigen Forschungsstand und wirft neue Fragen auf. Ihre Publikation sollte vor allem als Ausgangspunkt für die Notwendigkeit einer umfassenderen Neuausrichtung der Arbeitsforschung gelesen werden.