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Alexander Bahar

Folter im 21. Jahrhundert. Auf dem Weg in ein neues Mittelalter?

München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2009; 299 S.; brosch., 16,90 €; ISBN 978-3-423-24713-9
In dem Band geht es nicht um eine umfassende Darstellung der Folter oder ihrer Verbreitung heute. Vielmehr stellt der Autor die jüngsten Fälle von Folterungen durch u. a. britische und US-amerikanische Soldaten, aber auch in deutschen Gefängnissen in den Kontext der allgemeinen historischen Situation: „Die Zerstörung der Vernunft […] ist ein grassierendes Phänomen, das den […] Niedergang unserer postbürgerlichen Gesellschaft und ihrer wirtschaftlichen Basis begleitet“ (12). Dieser Prozess der dem „Kapitalismus innewohnenden Tendenzen zur Diktaturbildung“ (13) zeige sich in dem politischen Bündnis von Neoliberalen, Neokonservativen und fanatischen Christen ebenso wie in der Selbstentmachtung der Parlamente durch milliardenschwere Rettungspakete für die Banken. Die Folter sei letztlich nur das Symptom einer Konstellation in der „sich die bürgerliche Gesellschaft gegen sich selbst“ (14) stellt. Kritisch schildert Bahar die juristische Aufarbeitung zum Status der Gefangenen in Guantánamo und zur rechtlichen „Aushebelung des Habeas-Corpus-Prinzips“ (149). Zwar ergingen einige Urteile zugunsten Inhaftierter, die dagegen klagten, dass sie keinem Richter vorgeführt worden waren, der die Rechtmäßigkeit ihrer Inhaftierung prüfte, aber „der Supreme-Court nahm sich dieser fundamentalen materiell-rechtlichen Frage zu keiner Zeit an“ (153 f.). Die Möglichkeit dazu hätte er gehabt. Der Autor verurteilt, dass nach wie vor kein Gesetz die Haftdauer sogenannter feindlicher Kämpfer bestimme oder diesen Begriff auch nur definiere. Am Beispiel des ehemaligen Guantánamo-Häftlings Murat Kurnaz schildert er, wie dieser „in Kandahar offenbar auch von deutschen Elitesoldaten misshandelt“ (218) wurde. Männer des Kommandos Spezialkräfte (KSK) bewachten den äußeren Ring eines Gefangenlagers, so der Autor, „in dem die Gefangenen von US-Soldaten misshandelt und gefoltert wurden“ (220). Das Verbot der Folter, das ein Spezifikum der europäischen Kultur sei, bestehe zunehmend nur noch auf dem Papier, meint Bahar und warnt vor einer Abkehr von jenen Prinzipien, die die europäischen Gesellschaften zusammenhalten.
Timo Lüth (TIL)
Student, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 4.42 | 4.1 | 2.64 | 2.25 | 2.32 Empfohlene Zitierweise: Timo Lüth, Rezension zu: Alexander Bahar: Folter im 21. Jahrhundert. München: 2009, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/30941-folter-im-21-jahrhundert_36770, veröffentlicht am 05.08.2009. Buch-Nr.: 36770 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken