Die deutschsprachige Debatte über Iran sei über weite Strecken von einer Unterschätzung des Regimes in Teheran gekennzeichnet, so der Startpunkt dieser kleinen Streitschrift. Der Autor, stellvertretender Leiter der Politischen Planung bei der NATO, versucht gegen diesen Trend zu steuern. Er fordert von der deutschen und europäischen Politik einen realistischen Blick auf die Bedrohungen, die im Nuklearzeitalter von islamistischen Staaten und jihadistischen Gruppen ausgehen, und warnt davor, den unkontrollierbaren Charakter des iranischen Atomprogramms zu verharmlosen. Die Führung in Teheran habe schon jetzt vorexerziert, wie ein Staat sich über sein vertragskonformes ziviles Nuklearprogramm bis an die Schwelle zur Atommacht herantasten könne. Die Annahme, Nuklearwaffen dienten weiterhin allein dazu, den Einsatz gegnerischer Nuklearwaffen abzuschrecken, entspreche nicht mehr der militärischen Realität. Die Hinnahme eines Nuklearwaffenprogramms des iranischen Regimes würde darüber hinaus das bisherige Nichtverbreitungsregime zerstören. Iranische Nuklearwaffen würden im Gegensatz zu den offiziell nicht deklarierten israelischen zu einem nuklearen Wettrüsten im Nahen Osten führen, so der Autor. Entgegen der alten, aus dem Kalten Krieg stammenden Abschreckungslogik kommt Rühle zu dem Ergebnis, dass sich durch das Auftreten der unterschiedlichen Spielarten des Jihadismus die Spielregeln internationaler Politik nachhaltig geändert haben. Dies habe keineswegs nur Konsequenzen für den Umgang mit Terrorgruppen. Auch in den zwischenstaatlichen Beziehungen könne die nukleare Problematik künftig nicht mehr ausschließlich in den klassischen Kategorien des regionalen Gleichgewichts und der gegenseitigen nuklearen Abschreckung diskutiert werden.