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Henry Rousso

Vichy. Frankreich unter deutscher Besatzung 1940-1944. Aus dem Französischen von Matthias Grässlin

München: C. H. Beck 2009 (Beck'sche Reihe 1910); 149 S.; 11,95 €; ISBN 978-3-406-58454-1
Die nach der Niederlage 1940 in Vichy installierte Regierung war nicht nur ein Anhängsel der deutschen Besatzungsmacht, wie der Historiker Rousso in seiner präzisen Analyse erläutert, sondern zeichnete sich durch einen politischen Gestaltungswillen aus, der eigene antidemokratische Wurzeln hatte. Ohne Einmischung der Besatzer sei – unter zunächst breiter Zustimmung der Gesellschaft – unter Pétain ein autoritäres Regime erwachsen. Diesem Regime sei es mit der Politik der Kollaboration nicht nur darum gegangen, Staatsautorität und nationalen Zusammenhalt wiederherzustellen, „sondern die französische Gesellschaft trotz Niederlage und Okkupation, ja gerade unter Ausnutzung dieser unerwarteten Gelegenheit grundlegend zu ändern“ (11). Rousso ordnet damit die Vichy-Regierung in die Reihe der autoritären bzw. faschistischen Regime im Europa der 30er- und 40er-Jahre ein. Wie zutreffend dies ist, zeigt sich u. a. an den Versuchen des Regimes, eine neue moralische Ordnung zu etablieren und Bereiche staatlich zu regeln, „die eigentlich zur Privatsphäre gehörten“ (64). Dazu zählt, dass Frauen die Beschäftigung im öffentlichen Dienst untersagt wurde, sie sollten grundsätzlich vom Arbeitsmarkt verdrängt werden und sich um möglichst viele Kinder kümmern. Ein zentraler Gesichtspunkt bei der Einordnung des Regimes ist die Verfolgung der Juden. Rousso schreibt, dass der Antisemitismus von Vichy den alten christlichen Antijudaismus fortgesetzt habe und von biologistischen und rassistischen Konzeptionen beeinflusst gewesen sei, die sich nicht von denen des NS-Regimes unterschieden. „Die antisemitische Politik [hat] für 80.000 Juden aus Frankreich, die fast alle durch französische Ordnungskräfte verhaftet wurden, den Untergang bedeutet.“ (132) Insgesamt seien 87.000 Personen, meist Juden und Kommunisten, deportiert worden, 40 Prozent von ihnen starben; Tausende Aktivisten der Résistance und passive Zivilisten wurden im Land hingerichtet. Mit dieser erhellenden Überblicksdarstellung verbindet Rousso schließlich das Plädoyer, das Vichy-Regime nicht kollektiv zu vergessen, sondern sich der Erinnerung zu stellen.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.61 | 2.25 | 4.1 | 2.312 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Henry Rousso: Vichy. München: 2009, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/30602-vichy_36343, veröffentlicht am 16.07.2009. Buch-Nr.: 36343 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken