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Perry Anderson

Nach Atatürk. Die Türken, ihr Staat und Europa. Aus dem Englischen von Joachim Kalka

Berlin: Berenberg Verlag 2009; 183 S.; 19,- €; ISBN 978-3-937834-31-3
Der bekannte Autor widmet sich in diesem Band essayistisch der gegenwärtigen Türkei, ihren historischen Kontexten und den Beziehungen des Landes zu Europa. Perry führt aus, dass bereits 1981 eine Beobachtung gemacht wurde, die auch heute noch gelte: die Türkei sei „insofern ungewöhnlich, als sie eine arme Gesellschaft mit geringem Bildungsgrad darstellte, die trotzdem eine Demokratie“ (59) sei. Er fragt, wie ihr diese Stabilität, etwa im Vergleich zu Spanien, Portugal oder Griechenland gelungen sei. Seine von ihm selbst als strukturell klassifizierte Erklärung lautet, „weil es keinen entsprechend explosiven Klassenkonflikt gab“ (62). Die Bruchlinien in der türkischen Gesellschaft hingen eher mit Ethnizität denn mit Klassenbewusstsein zusammen. Zwar sei, führt Perry aus, die Türkei heute eine moderne Gesellschaft, der Staat sei jedoch nach wie vor autoritär. Nationale Minderheiten gelten als Bedrohung, das Verhältnis zur Demokratie sei ambivalent, der Völkermord an den Armeniern werde bis heute geleugnet. Mit der Regierungsübernahme der AKP konstatiert Perry entsprechend einen zunehmenden „Abwurf des liberalen Ballasts“ (91). So beschreibt er eine gegenwärtige Tendenz der türkischen Gesellschaft wie folgt: „Wenn das Nationale als Herrschaftsdiskurs der Gesellschaft das Religiöse aussticht […], dann hat die Partei viel zu gewinnen und wenig zu verlieren, wenn sie dieser Tendenz folgt“ (92). Und dennoch versuche die AKP die Gesellschaft mit aller Macht stärker religiös zu prägen. Die Auseinandersetzung um das Kopftuch ist für den Autor ein gutes Beispiel „für die pervertierte Dialektik von Staat und Religion in der kemalistisch geprägten Türkei“ (94). Den Säkularisten sei es eben nicht gelungen die Verbindung von Staat und Religion gänzlich zu kappen. „Die völkerrechtliche Monstrosität der türkischen Position in Zypern“ (97) ist für Perry auch das größte Hindernis für einen EU-Beitritt. Der EU hingegen wirft er vor, die Kurdenfrage aus politischer Doppelmoral heraus zu vernachlässigen.
Timo Lüth (TIL)
Student, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.63 | 2.2 | 2.22 | 2.23 | 2.25 Empfohlene Zitierweise: Timo Lüth, Rezension zu: Perry Anderson: Nach Atatürk. Berlin: 2009, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/30578-nach-atatuerk_36310, veröffentlicht am 24.07.2009. Buch-Nr.: 36310 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken