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Gerhard Scherhorn

Geld soll dienen, nicht herrschen. Die aufhaltsame Expansion des Finanzkapitals

Wien: Picus Verlag 2009 (Wiener Vorlesungen im Rathaus. Edition Gesellschaftskritik 5); 96 S.; geb., 8,90 €; ISBN 978-3-85452-584-4
Der Ökonom Scherhorn erläutert die Geschichte der Deregulierung des Kapitalverkehrs, die zu der aktuellen Finanzkrise geführt hat. Jedoch sieht er eine Chance für eine Revision des kapitalistischen Weltsystems. Dazu müsse eine Bedingung erfüllt sein: „Wir dürfen den Kapitalismus nicht länger mit der Marktwirtschaft verwechseln“ (19). Ersterer gebe der Kapitalakkumulation den Vorrang und bereichere so die oberen Einkommensschichten, während er den gesellschaftlichen Zusammenhalt zerstöre. Die Marktwirtschaft hingegen betrachtet er als eine auf freien Marktzugang hin orientierte Wettbewerbsordnung. Überhöhte Gewinne könnten durch Setzung der richtigen Marktregeln reduziert und Marktmacht verhindert werden. Um die marktwirtschaftliche Ordnung weiterzuentwickeln, plädiert Scherhorn für die Ausdehnung der „Sozialbindung des Privateigentums auf das Kapital und besonders das Finanzkapital“ (20). Er ruft eine der großen Paradoxien des Systems ins Gedächtnis: „Es ist auf permanente Kapitalexpansion, also exponentielles Wachstum angelegt, operiert aber in einer endlichen Welt“ (63). Der Autor betont, dass das Wachstum der reifen Industrieländer längst linear verlaufe und sich jenes der Entwicklungsländer mit zunehmender Entwicklung abflache. Aus eben jenem Grund habe sich die Kapitalexpansion auf das Finanzkapital verlagert. Diese Logik und ihre Folgen finden sich paraphrasiert in einer zitierten Formel Robert Reichs: So habe der Kapitalismus der letzten Jahrzehnte zwar die Menschen als Verbraucher und Geldanleger bereichert, schädige sie jedoch als Arbeitnehmer durch Lohnminderung und als Bürger durch Umweltzerstörung und gesellschaftliche Desintegration. Es bedarf also eines generellen Umdenkens hin zur Nachhaltigkeit in allen Bereichen, eines „maßvolleren Lebensstils“ (77) und in Anlehnung an Dahrendorf der Akzeptanz, dass Arbeitszeitverringerung ein Mehr für Familie und Bildung bedeuten kann. Scherhorns Analyse besticht durch differenzierte und klare Gedankenführung.
Timo Lüth (TIL)
Student, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 4.43 | 2.2 Empfohlene Zitierweise: Timo Lüth, Rezension zu: Gerhard Scherhorn: Geld soll dienen, nicht herrschen. Wien: 2009, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/30351-geld-soll-dienen-nicht-herrschen_36021, veröffentlicht am 24.03.2009. Buch-Nr.: 36021 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken