Die Sozialstruktur Europas
Ist die Sozialstrukturanalyse in ihrer räumlichen Reichweite traditionell nationalstaatlich orientiert, so erfordert die europäische Integration einen erweiterten Blick. Denn die EU ist weit mehr als ein Arrangement von 27 Staaten zum Zweck der Harmonisierung von Marktordnungen, sondern ein politischer Großraum, in dem sich eine Europäisierung nationaler Gesellschaften mit konvergierenden Lebens- und Wohlfahrtschancen vollzieht. Eine Sozialstrukturanalyse des EU-Raumes ist deshalb längst überfällig. Mau und Verwiebe, Soziologen an den Universitäten Bremen bzw. Wien, schließen nun diese Lücke. Sie skizzieren zunächst „das europäische Sozialmodell” (48) und umreißen damit die europaspezifische Form des Sozialstaates. Als dessen Merkmale benennen die Autoren u. a. eine umfassende Risikovorsorge durch den Staat, steuerpolitische und wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen zur Verringerung von Einkommensungleichheiten, ein kodifiziertes Arbeitsrecht und geregelte Verhandlungsprozesse zur Beilegung von Lohnkonflikten. Der Hauptteil des Bandes ist einem Daten-Vergleich der 27 EU-Gesellschaften gewidmet. Wesentliche Aspekte sind dabei klassische sozialstrukturanalytische Faktoren: Bevölkerung und Familie, Migration, Arbeitsmarkt und Erwerbstätigkeit, Bildung, Soziale Ungleichheit, Lebensqualität. Vielfältige Disparitäten kontrastieren dabei mit erkennbaren Konvergenzen europäischer Vergesellschaftung. Zwar ist eine europäische Ungleichheitsdynamik mit Gewinnern und Verlierern zu konstatieren, ebenso aber auch eine horizontale Europäisierung aufgrund transnationaler Erfahrungen/Begegnungen und nicht zuletzt auch eine zunehmende subjektive Europäisierung.