Wie lässt sich ein Diktator wie Stalin historisch bewerten? Der britische Historiker Roberts präsentiert kein Sündenregister Stalins. In dieser detaillierten Studie widmet er sich Stalins militärischer und politischer Führung in seinen letzten Lebensjahren. Der Autor – ein ausgewiesener Experte für die Kriegsführung und Kriegsdiplomatie Stalins – kommt zu drei interessanten Bewertungen: Stalin sei ein effizienter und erfolgreicher Kriegsführer gewesen. Zudem habe er alles daran gesetzt, um das Kriegsbündnis mit dem Westen gegen Nazideutschland zu einem Erfolg zu machen. Und so sei die Herrschaft Stalins in der Sowjetunion in den letzten Jahren weniger repressiv gewesen. Roberts beschreibt Stalins Erfolge als Kriegsherr insbesondere anhand des Kriegsumschwungs zwischen dem Frühjahr 1942 und dem Sommer 1943. Dabei widerspricht der Historiker der vorherrschenden Meinung, dass die Rote Armee zu siegen begann, als Stalin auf die Ratschläge seiner Generäle hörte. Nach Roberts’ Interpretation befanden sich Stalin und seine Generäle vom ersten Kriegstag an „in einer steilen Lernkurve“ (181). Die bitteren Niederlagen in den ersten Kriegsmonaten hätten Stalins Generäle zu besseren Kommandanten und Stalin selbst zu einem besseren Oberbefehlshaber werden lassen. Trotz dieser wohlwollenden Beurteilung will der Autor den sowjetischen Diktator keineswegs frei sprechen: Es sei nicht das Ziel, „Stalin zu rehabilitieren, sondern ihn sich noch einmal genau anzuschauen“. Der Leser finde „viele Stalins“: „den Despoten und den Diplomaten, den Soldaten und den Staatsmann, den rationalen Bürokraten und den paranoiden Politiker“ (9). Doch Erklärungen, wie das Bild des „erfolgreichen“ Kriegsherrn mit Stalins Verbrechen zusammenpasst, finden sich in Roberts’ Werk kaum.