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Hedwig Schrulle

Verwaltung in Diktatur und Demokratie. Die Bezirksregierungen Münster und Minden/Detmold von 1930 bis 1960

Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 2008 (Forschungen zur Regionalgeschichte 60); IX, 765 S.; 64,- €; ISBN 978-3-506-76593-2
Geschichtswiss. Diss. Münster; Gutachter: H.-U. Thamer, B. Walter. – Die Autorin rekonstruiert am Beispiel verschiedener Aufgabenfelder konkretes Verwaltungshandeln der Bezirksregierungen Münster und Minden/Detmold. Der vergleichende Ansatz lässt Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Verwaltungstätigkeit und damit die Grenzen der jeweiligen Handlungsspielräume hervortreten. So wird deutlich, wie die Verwaltungen zur nationalsozialistischen Durchdringung der Gesellschaft beitrugen und inwieweit sie sich nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes um einen personellen und inhaltlichen Neuanfang bemühten. Zu letzterem Punkt hält Schrulle fest, dass die weitreichenden Bemühungen der Alliierten und der Landesregierungen weniger erfolgreich waren als angenommen: „Es waren […] vielmehr die gesamtgesellschaftlichen strukturellen Veränderungen unter den Bedingungen einer ‚Modernisierung unter konservativen Auspizien’, die zu einer wachsenden Akzeptanz des parlamentarisch-demokratischen Systems unter den Beamten führte“ (531). Für die Politikwissenschaft ist insbesondere das enorme Beharrungsvermögen der Bürokratie interessant. Obwohl es nach 1933 und nach 1945 jeweils einen enormen Austausch an Personal und einen Wechsel normativer Leitlinien gegeben hatte, betont die Autorin die Bedeutung politischer Anschauungen. Nach Kriegsende gelang eine Integration der Beamtenschaft „erst über den Antikommunismus als konsensstiftende Gegenideologie“ (532). Ähnliches lässt sich auch für die Phase nach der Machtergreifung beobachten. Ideologische Gemeinsamkeiten der Beamtenschaft erleichterten die Integration in den NS-Staat; „die Ablehnung der Demokratie, des Parlamentarismus, des Marxismus“ (602) wurde nur noch dadurch erhöht, dass der neue Obrigkeitsstaat im demokratischen Prozess steckengebliebene Reformvorhaben realisierte. Dass konservative Regierungen gegenüber jenen von NS-Aufsteigern dominierten Regierungen mehr an rechtsstaatlichen Prinzipien festhielten, erklärt die Autorin eher mit ihrem „etatistisch-gouvernementalen Selbstverständnis“ denn mit „herrschaftsbegrenzender Motivation“ (603).
Timo Lüth (TIL)
Student, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.312 | 2.311 | 2.313 | 2.35 | 2.325 Empfohlene Zitierweise: Timo Lüth, Rezension zu: Hedwig Schrulle: Verwaltung in Diktatur und Demokratie. Paderborn u. a.: 2008, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/29565-verwaltung-in-diktatur-und-demokratie_35001, veröffentlicht am 08.04.2009. Buch-Nr.: 35001 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken