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Andreas Kossert

Kalte Heimat. Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945

Berlin: Siedler Verlag 2008; 431 S.; Ln., 24,95 €; ISBN 978-3-88680-861-8
„Während Staaten, die ihre deutschen Minderheiten nach Kriegsende unrechtmäßig vertrieben haben, die Opfer um Verzeihung gebeten haben, steht die innergesellschaftliche Anerkennung, daß die deutschen Vertriebenen nach 1945 zu psychisch, physisch und materiell besonders geschädigten Opfern einer kriegsfolgebedingten Menschenrechtsverletzung geworden sind, noch aus“ (352), schreibt der Historiker Kossert vom Deutschen Historischen Institut in Warschau. Mit seinem Buch bietet er eine Basis, um diese Lücke in der gesamtdeutschen Erinnerungskultur schließen zu können. Kossert ist – was gar nicht hoch genug gelobt werden kann – eine Synthese aus exakter Wissenschaft und dem Mitgefühl für leidende Menschen gelungen. Völlig außer Zweifel steht dabei, dass die Vertreibungen der deutschen Minderheiten eine Reaktion auf die nationalsozialistische Gewaltherrschaft waren. Dies verringert nach Kosserts Ansicht aber keinesfalls das Leiden – 14 Millionen Deutsche verloren ihre Heimat, zwei Millionen kamen auf der Flucht um. Geschildert wird nach den Phasen der Vertreibung vor allem der unfreundliche Empfang im übrig gebliebenen West- und Ostdeutschland. Die Flüchtlinge, die meist alles verloren hatten und entsprechend abgerissen aussahen, wurden als „Polacken“ (43) diffamiert und als Dahergelaufene ausgegrenzt. Die Darstellung lässt insgesamt keinen Zweifel daran, dass die Vertriebenen in beiden Teilen Deutschlands als Belastung gesehen und allenfalls dazu benutzt wurden, ihnen eine Nazi-Täterschaft unterzuschieben – irgendjemand musste es schließlich gewesen sein. Kossert betont aber den kulturellen Verlust, den alle Deutschen erlitten haben, den Verlust einer jahrhundertealten Geschichte im Osten Europas und damit der Wurzeln eines wesentlichen Teils der deutschen Geistesgeschichte. Den Vertriebenen selbst, denen bis heute niemand zuhören wolle, schreibt er das Verdienst zu, nach ihrer Ankunft vor allem im ländlichen Westdeutschland eingeschliffene Traditionen und kulturelle Konventionen infrage gestellt zu haben. Sie seien ein „Modernisierungsfaktor ersten Ranges“ (121) gewesen.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.3132.352.312 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Andreas Kossert: Kalte Heimat. Berlin: 2008, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/29273-kalte-heimat_34617, veröffentlicht am 23.07.2008. Buch-Nr.: 34617 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken