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Götz Aly

Unser Kampf. 1968 – ein irritierter Blick zurück

Frankfurt a. M.: S. Fischer 2008; 253 S.; geb., 19,90 €; ISBN 978-3-10-000421-5
Zu dieser Art der schonungslosen Abrechnung ist wohl nur jemand fähig, der selbst dabei war – und Aly macht keinen Hehl aus seiner jugendlichen Verblendung, seinem Anteil an der „Selbstermächtigung der Achtundsechziger“ (8), die meinten, zum „besseren Teil der Menschheit“ (9) zu gehören. Bei näherem Hinsehen aber habe es sich bei dieser Revolte um sehr deutsche Spätausläufer des Totalitarismus gehandelt. Aly setzt damit nicht Rot und Braun gleich, sondern thematisiert die „Ähnlichkeiten der Mobilisierungstechnik, des politischen Utopismus und des antibürgerlichen Impetus“ (170). Belegt werden diese mit den publizistischen Erzeugnissen der Achtundsechziger, den Reden von Rudi Dutschke, der den Staat durch seine Legalität in seiner Handlungsfähigkeit gebremst sah, und mit dem Hinweis auf die Übergänge in den Terrorismus. Als Zeugen dienen u. a. Richard Löwenthal und Jürgen Habermas, die schon damals auf die Parallelen der Extreme hinwiesen. Aly konzentriert sich nicht auf die Veteranengeschichten, sondern nimmt das Verhalten der staatlichen Akteure sowie das von Professoren wie Löwenthal oder Ernst Fraenkel in den Blick. Die Bundesrepublik der 60er-Jahre wird keineswegs beschönigt – bis Ende 1966 sei Vizekanzler Mende mit dem von Hitler verliehenen Ritterkreuz herumstolziert. Aly zeigt auch, dass der Staat unvorbereitet mit der Revolte konfrontiert wurde, Politiker wie Kiesinger und Kohl aber mit Augenmaß reagierten. Nur hätten die Menschen, die 1945 als junge Erwachsene erlebt hatten, nicht verstehen können, warum die Demokratie von einer Minderheit der Studenten attackiert wurde. Tatsächlich habe der Staat diesen nur „als Ersatzfeind“ (188) gedient, sie hätten das familiäre Drama der unaufgearbeiteten Kriegserfahrungen in einer allgemeineren Atmosphäre der Abrechnung aufheben wollen. Das private Schweigen habe sich lautstark an den Repräsentanten des Staates ausgetobt. Gleichzeitig hätten die Revoltierenden bei dem Versuch, dem Schuldzusammenhang der nationalsozialistischen Verbrechen zu entrinnen, in einem Schutzreflex ihre Augen vor dem Unerträglichen verschlossen.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.313 | 2.331 | 2.35 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Götz Aly: Unser Kampf. Frankfurt a. M.: 2008, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/29006-unser-kampf_34250, veröffentlicht am 14.04.2008. Buch-Nr.: 34250 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken