Völkermorde im 20. Jahrhundert. Mit einem Vorwort von Hubert Christian Ehalt
Benz hatte 2007 die Sir Peter Ustinov-Gastprofessur der Stadt Wien inne und hielt den Vortrag, der in diesem Band publiziert wird, im Mai des Jahres im Wiener Rathaus. Die Professur ist der Erforschung und Bekämpfung von Vorurteilen gewidmet. Entsprechend erweitert Benz, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, die Analyse des Völkermordes über eine Betrachtung des Holocaust hinaus. Bei der Frage nach den Auslösern eines Völkermordes nimmt er das gesamte 20. Jahrhundert in den Blick, angefangen bei der Ermordung der afrikanischen Herero durch das Deutsche Reich. Bereits bei diesem Ereignis stellt Benz eine „Entgrenzung des Denkens“ fest, bei der die Ausrottung einer Minderheit „als vermeintliche Notwendigkeit zum eigenen Wohl“ (31) propagiert wird. Grundsätzlich entstehen Völkermorde „aus ideologischen Motiven, die sich aus alltäglichen Verhaltensmustern speisen“ (20), aus Vorurteilen und Feindbildern. Benz benennt sieben stets wiederkehrende Aspekte, die das Wesen des Völkermordes charakterisieren: Intention, Wahrnehmung und Erinnerung, Ideologie, Traditionen der Diskriminierung durch Feindbilder und Vorurteile, Distanz, Definition der „Feinde“ und der Anspruch auf Deutungshoheit über das Geschehen sowie Regelhaftigkeit. An den Beispielen der Völkermorde an den Armeniern, Juden, Roma, Tutsi und bosnischen Muslimen zeigt er, dass am Anfang immer eine Schuldzuweisung an eine ethnische, religiöse, kulturelle oder soziale Minderheit steht, „dann deren Ausgrenzung und Verfolgung unter dem Vorwand, die Mehrheit sei provoziert worden“ (33). Der Vortrag schließt mit einem Blick auf das Leiden der überlebenden Opfer. Sie sind oft genug nicht nur mit einer Verniedlichung oder Leugnung konfrontiert, sondern bleiben nach der existenziellen Katastrophe, bei der Besitz zerstört und Familienangehörige ermordet wurden, lebenslang in „Einsamkeit und Verlorenheit“ (52) zurück.