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Thomas Etzemüller

Ein ewigwährender Untergang. Der apokalyptische Bevölkerungsdiskurs im 20. Jahrhundert

Bielefeld: transcript 2007 (xtexte); 215 S.; kart., 22,80 €; ISBN 978-3-89942-397-6
Eines scheint zumindest sicher, „der Untergang ist eine Sache der Zukunft“ (11) – was den Vorteil hat, eine fragwürdige Interpretation von Zahlen und spezifische Weltanschauungen nicht belegen zu müssen. Nach diesem Verfahren agieren zumindest Bevölkerungswissenschaftler seit mehr als hundert Jahren, wie der Historiker Etzemüller in seiner hervorragenden Studie beschreibt. Er bestreitet keineswegs, dass Veränderungen in der demografischen Entwicklung soziale und politische Veränderungen nach sich ziehen (sollten). Ihm leuchtet aber nicht ein, warum – statt die Gesellschaft zu Reformen zu ermuntern – alles in einem Katastrophenszenario enden muss. Und tatsächlich zeigt er, wie willkürlich die demografischen Daten je nach Zeitgeist ideologisch überformt interpretiert wurden und werden. Anders als der vergangenheitsbewältigte Deutsche allerdings glauben könnte, handelt es sich dabei nicht um ein nationalsozialistisches Phänomen, im Gegenteil: Etzemüller stellt ausdrücklich fest, dass die NS-Diktatur im Bevölkerungsdiskurs keine Zäsur darstellte. In den ersten Kapiteln arbeitet er heraus, wie überhaupt der spezifische Blick auf die Bevölkerung als Untersuchungsgegenstand entstand. Außerdem stellt er den deutschen Texten systematisch schwedische Studien an die Seite – mit u. a. der Feststellung, dass auch in einer Demokratie wie Schweden die willkürliche Sterilisation von Menschen (meist Frauen) lange als legitim betrachtet wurde. Entwickelt wird ferner die Matrix des Bevölkerungsdiskurses, zu der die Komponenten Raum, Eugenik, Frauen und Männer, Natur und Kultur sowie die Krise gehören. Davon ausgehend erklärt Etzemüller die willkürlichen Interpretationen von Bevölkerungsentwicklungen, die sich politisch instrumentalisieren lassen. Die westdeutsche Antwort auf die angenommene demografische Krise sei nur gewesen, „eine ethnisch homogene Gemeinschaft gegen jede Strukturänderung abzusichern“ (146) – alles auf der Annahme basierend, eine optimale Bevölkerungsstruktur müsse sich als Pyramide darstellen lassen. Diese sei aber nur für einen „Übergangszustand im 19. Jahrhundert“ (86) charakteristisch.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.2 | 2.23 | 2.31 | 2.35 | 2.61 | 4.42 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Thomas Etzemüller: Ein ewigwährender Untergang. Bielefeld: 2007, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/28691-ein-ewigwaehrender-untergang_33831, veröffentlicht am 09.04.2008. Buch-Nr.: 33831 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken