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Werner Großmann

Bonn im Blick. Die DDR-Aufklärung aus der Sicht ihres letzten Chefs

Berlin: Das Neue Berlin 2007; 287 S.; brosch., 14,90 €; ISBN 978-3-360-01905-9
Allerhand Details aus einer Nachrichtendienstkarriere, die bezeichnenderweise so alt war wie die DDR selbst und mit ihrem Verschwinden endete, liefert der letzte Chef des Auslandsgeheimdienstes der DDR. Abschließend erklärt Grossmann die „Stasijagd“ nach der Einheit zum Mittel der „Delegitimierung der DDR“. „Systematische Verleumdung“ (279) nennt er diese Strategie, die gerade im Falle der Birthler-Behörde Zeugnis von „Verfolgungswahn und politischer Schizophrenie“ (280) ablege. Jene Einlassungen könnten bis hierhin als Verstrickungen eines ewig-gestrigen Funktionärs abgetan werden. Regelrecht unerträglich werden Grossmanns Ausführungen jedoch spätestens an dem Punkt, an dem er den Begriff der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen konsequent in Anführungszeichen setzt und somit das Schicksal der Opfer verhöhnt. Hier schließt sich der Kreis zum Vorwort eines befreundeten, ehemaligen Sowjet-Generals, dessen einleitende These von Grossmanns reinem Gewissen auf tragische Weise bestätigt wird. Wie die DDR trotz der von Grossmann zuvor ausführlich dargestellten Qualität ihrer Dienste untergehen konnte? Der Autor lehnt jede Verantwortung ab: Männer machten Geschichte, heißt es blumig, und nicht der Nachrichtendienst. Gorbatschow habe „den Vormarsch der Konterrevolution in den sozialistischen Ländern“ (283) nicht verhindert, obwohl die DDR auf den Schutz durch die Sowjetunion angewiesen gewesen war. Die blutige Konsequenz aus dieser Denkweise, die auszuschreiben Grossmann sich nicht traut, wäre die militärische Niederschlagung der Montagsdemonstrationen nach chinesischem „Vorbild“ gewesen. Durch ihre Negation tritt die wahre Ursache für die Delegitimierung der DDR umso deutlicher zu Tage: Gerade durch die hier dokumentierten, teils brutalen, Implikationen der Denkmodelle von Funktionären wie Grossmann entzog sich das Regime die Grundlage selbst. Und so hat Grossmann vollkommen implizit und unabsichtlich vor allem eines vorgelegt: Ein beeindruckendes Dokument über den Mut der friedlichen Revolutionäre in der DDR.
Carsten Michael Nickel (CMN)
B. A., Politikwissenschaftler, wiss. Hilfskraft, Lehrstuhl für Internationale Politik, Ruhr-Universität Bochum.
Rubrizierung: 2.314 | 2.315 Empfohlene Zitierweise: Carsten Michael Nickel, Rezension zu: Werner Großmann: Bonn im Blick. Berlin: 2007, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/28240-bonn-im-blick_33222, veröffentlicht am 02.04.2008. Buch-Nr.: 33222 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken