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Steffen Burkhardt

Medienskandale. Zur moralischen Sprengkraft öffentlicher Diskurse

Köln: Herbert von Halem Verlag 2006; 485 S.; brosch., 34,- €; ISBN 978-3-938258-27-9
Diss. Hamburg; Gutachter: S. Weischenberg. – Die Kokain- und Prostituiertenaffäre um Michel Friedman im Jahr 2003 dient dem Publizisten und stellvertretenden akademischen Leiter für den Journalismus-Studiengang der Hamburg Media School Burkhardt als Beispiel, um den Verlauf eines Medienskandals und die damit verbundenen Absichten aus vornehmlich wissenssoziologischer Perspektive zu analysieren. Medienskandale seien eine eigene Kategorie der Kommunikationspraxis, schreibt Burkhardt. Ein Schlüssel zum Verständnis sei die Moral – sie sei allerdings selten der Anlass, „sondern in der Regel lediglich der Vorwand für die mediale Skandalisierung“ (380). Medienskandale dienten vielmehr der Politisierung, indem sie Bezüge zwischen den skandalisierten Ereignissen, Zuständen oder Handlungen zur Politik herstellten. Im Kern gehe es um die Umverteilung von Macht, wie auch der Fall Friedmann zeige. Burkhardt belegt dies, indem er einen ähnlichen Fall zum Vergleich heranzieht: Der Maler Jörg Immendorf wurde drei Jahre nach Friedmann mit Kokain und Prostituierten erwischt – der Skandal blieb aber aus. Dies lege nur einen Schluss nahe: „Das Kokain war genauso wenig wie der Kontakt mit Prostituierten das funktionale Motiv der Skandalisierung Friedmans“ (373). Diesem sollte vielmehr mittels der Skandalisierung seine öffentliche Sprecherrolle als Fernsehmoderator und Mitglied des Zentralrates der Juden in Deutschland entzogen werden. Dieser Entzug „ist Ausdruck eines innergesellschaftlichen Machtkampfes um die Inszenierungshoheit des deutsch-jüdischen Verhältnisse“ (350), schreibt Burkhardt, was ein Zeichen politischer Dysfunktionalität sei: Der Skandal markiere einen Wendepunkt im jahrelang ausgetragenen Antisemitismusstreit, mit dem versucht worden sei, die bundesrepublikanische Geschichte in Abgrenzung zur NS-Vergangenheit neu zu definieren, und bedeute, dass das politische System die Kommunikation seiner deutsch-jüdischen Beziehungspolitik nicht optimal gestalte. Ein dauerhaftes Vermittlungsproblem aber könne Vorurteilen und einer Radikalisierung der Masse Vorschub leisten.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.333 | 5.42 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Steffen Burkhardt: Medienskandale. Köln: 2006, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/27152-medienskandale_31722, veröffentlicht am 10.12.2007. Buch-Nr.: 31722 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken