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Boris Groys / Anne von der Heiden / Peter Weibel

Zurück aus der Zukunft. Osteuropäische Kulturen im Zeitalter des Postkommunismus

Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2005 (edition suhrkamp 2452); 894 S.; 16,- €; ISBN 978-3-518-12452-9
Wenn der Sozialismus als „faktischer Zustand“ zu denken sei und der Kommunismus als „geistiger Zustand“, schreibt der Belgrader Kunstjournalist und Kurator Branislav Dimitrijević, dann beziehe sich der Begriff „Postkommunismus“ auf eine bestimmte Denkweise und nicht auf ein historisches Ereignis. Damit ist der Postkommunismus also die Rezeption einer gescheiterten Zukunft, deren Paradoxon in ihrer Vergangenheit als sowjetischer Sozialismus liegt. Wo aber befinden sich Kunst und Kultur im heutigen Osteuropa, nachdem sie „zurück aus der Zukunft“ sind? Warum werde der Kommunismus, wie immer wieder zu lesen sei, nur als eine Unterbrechung in der „normalen“ Entwicklung dieser Länder gedacht, fragt der Karlsruher Philosoph und Kunstwissenschaftler Groys. Er leitete das von der Kulturstiftung des Bundes geförderte Initiativprojekt „The Post-Communist Condition“, als dessen Teil dieser außerordentlich lesenswerte Band erscheint. Die Autoren definieren den Sozialismus und den utopischen Kommunismus als das, was er vor 1989 u. a. auch war – ein Modernisierungsprojekt. Die Folgen seines Scheiterns werden dabei höchst verschieden reflektiert. So ist der französische Philosoph Alain Badiou bereit, mit großer Geste über die Millionen von Toten hinwegzusehen – die Rettung der kommunistischen Utopie ist ihm wichtiger. Die jahrzehntelange Blindheit der westlichen linken Intellektuellen angesichts des Terrors kritisiert dagegen der Moskauer Philosoph Michail Ryklin. Er will nicht Teil eines gigantischen utopischen Projektes sein, „das Generationen westlicher Intellektueller während der gesamten Sowjetzeit geschaffen hatten“ (630). Neben politischen Diagnosen über den Charakter des Postkommunismus gliedern sich die Beiträge in die Kapitel Alltagsräume, Kunsträume, künstlerische Positionen und literarische Zeugnisse. Thematisiert werden u. a. die politischen Aspekte des Kunstschaffens im Jugoslawien der Vorwendezeit. Letztlich organisiere sich der gesamte linke Diskurs um ein einziges Wort, schreibt der Moskauer Künstler Pavel Pepperstejn nicht ohne Erstaunen: Kapitalismus.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.22 | 2.23 | 2.61 | 2.62 | 5.43 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Boris Groys / Anne von der Heiden / Peter Weibel: Zurück aus der Zukunft. Frankfurt a. M.: 2005, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/25162-zurueck-aus-der-zukunft_29128, veröffentlicht am 25.06.2007. Buch-Nr.: 29128 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken