Skip to main content
Hans Mommsen / Manfred Grieger

Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich

Düsseldorf: Econ 1996; 1055 S.; 78,- DM; ISBN 3-430-16785-X
Die Unternehmensgeschichte des Volkswagenwerkes basiert auf Zufälligkeiten: Da sich die deutsche Automobilindustrie nicht für die Produktion eines Kleinwagens begeistern konnte, der letztendlich ihren eigenen Absatzmarkt an Kleinfahrzeugen verengt hätte, wurde die "Kraft durch Freude"-Organisation des Robert Ley zum finanziellen Rückhalt des Volkswagens oder wie er dann hieß: des KdF-Wagens. Adolf Hitler hatte schon kurz nach der Machtübernahme von einer Volksmotorisierung geträumt und glaubte, diesen Traum durch die Entwicklung eines Volkswagens umsetzen zu können, der entgegen allen betriebswirtschaftlichen Berechnungen 990 Reichsmark kosten sollte. Zunächst nahm die deutsche Automobilindustrie den Gedanken auf und begann die Entwicklung des Wagens. In Ferdinand Porsche wurde ein genialer Konstrukteur, aber auch gleichzeitig ein unpolitischer Ingenieur gefunden, der sein Produkt, den Volkswagen, bauen wollte, gleichgültig, mit welchen Mitteln er an sein Ziel kommen konnte. Insofern nutzte Porsche seine Beziehungen zu Hitler, um seine Kritiker in der Automobilindustrie auszuspielen. Unterstützt wurde er dabei von Technokraten in SS- und SA-Uniform, die das Volkswagenprojekt als persönliche Profilierungsgelegenheit gegenüber einem autovernarrten Diktator ansahen. Nach dem Rückzug der Industrie sprang Robert Ley ein, und entgegen allen Bedenken wurde in Nachbarschaft zu den Reichswerken "Hermann Göring" in der Nähe von Fallersleben ein Automobilwerk errichtet, wo man nach den Phantasien von Parteigrößen die Produktionszahlen von Ford in Detroit um mehr als eine halbe Million übertreffen wollte. Die Diktatur nutzte ihre Lenkungsmöglichkeiten, auch wenn sie dabei jede Wirtschaftlichkeit außer acht ließ. Einerseits mußte sie einen Absatzmarkt erst schaffen, unterstützt durch das "Volkswagensparen"; andererseits galt es, sich auf einem knappen deutschen Markt z. B. mit den notwendigen Mengen Stahl zu versorgen. Um sich eine gewisse Unabhängigkeit von der Zuliefererindustrie zu verschaffen, sollten im Volkswagenwerk möglichst viele Teile des KdF-Wagens selbst gefertigt werden. Der Bau der Fabrik, ihr Funktionieren, der Bau der "KdF-Stadt", der nationalsozialistischen Musterstadt, in der die Arbeiter und Angestellten wohnen sollten, erforderte sowohl Kapital als auch Arbeitskraft. Angesichts der uneingeschränkten finanziellen Manipulationsmöglichkeiten des Regimes, die sich mit dem Kriegsbeginn noch steigerten, war der Arbeitskräftemangel der entscheidende Faktor, der die Produktion hemmen konnte. Vor dem Krieg behalf man sich mit italienischen Fremdarbeitern. Während des Krieges, als Rüstungsaufträge das Gesicht des Werkes prägten, eröffnete sich dem Unternehmen wie anderen deutschen Großunternehmen auch ein zwangsrekrutiertes Arbeitskräftereservoir: Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter aus der UdSSR, Frankreich, Italien, der Ukraine, den Niederlanden und Polen. Die Zwangsarbeiter bzw. "Dienstverpflichteten" aus Westeuropa waren zunächst den deutschen Arbeitern gleichgestellt; bald verschlechterte sich ihre Lage "und führte in Einzelfällen sogar zu einer KZ-ähnlichen Behandlung" (713). Die steigende Einbindung in die Rüstung, der Kriegsverlauf, die Bombenangriffe auf das Werk hatten zuerst Auswirkungen auf das Leben der Zivilarbeiter: die ärztliche Betreuung war kaum vorhanden, es kam zu Epidemien, zum Massensterben von Kindern der Zwangsarbeiter. Mit dem Kriegsende und dem Übergang in die britische Kontrolle konnte sich das Unternehmen zum ersten Mal konkret der Aufgabe widmen, für die es geplant war: Im März 1946 rollte der tausendste Volkswagen vom Band, im Oktober 1946 folgte der zehntausendste. Mommsen und Grieger beschreiben detailliert das Entstehen eines Werkes unter den Umständen einer Diktatur, wobei die politischen und wirtschaftspolitischen Implikationen im Vordergrund stehen. Die Autoren zeigen, wie sich das Werk im Weltkrieg immer mehr zu einem Rüstungsbetrieb wandelte, verbunden mit all jenen Negativseiten des Regimes, wie Zwangsarbeit und Einrichtung von Konzentrationslagern. Eine unmittelbare Einordnung der Zustände im Volkswagenwerk ist zwar anhand des Buches selbst nicht möglich, aber auch nicht unbedingt erforderlich: Der Bezug zum menschenverachtenden NS-Regime wird niemals vernachlässigt. Insofern bietet die auf einer breiten Quellenanalyse basierende beachtliche und lesenswerte Untersuchung eine Unternehmensgeschichte, die sich nicht im Nachkriegserfolg des Volkswagens gefällt, sondern vielleicht exemplarisch ist für ein Unternehmen, das durch die NS-Diktatur erst ermöglicht worden ist. Inhaltsübersicht: 1. Einleitung; 2. Das Dritte Reich und der Gedanke der Volksmotorisierung: Die Vorgeschichte des Volkswagens 1933-1937; 3. Der Aufbau des Volkswagenwerkes bis 1939; 4. Die Motorisierung der Volksgemeinschaft als Sozialpolitik; 5. Ein Werk für die Nachkriegszeit. Sicherung der Eigenständigkeit und der Ausbau des Werkes 1939-1941; 6. Der lange Sommer 1941. Ausweitung der Rüstungsproduktion und Systematisierung der Zwangsarbeit 1941/42; 7. Das Volkswagenwerk als Rüstungskonzern. 8. Der Arbeitseinsatz im Zeichen des "totalen Krieges"; 9. Der Volkswagenkonzern in der Endphase des Krieges; 10. Ferdinand Porsche und das Management der Volkswagenwerk GmbH; 11. Das Volkswagenwerk unter britischer Kontrolle und die Übergabe in deutsche Hand; 12. (Im Anhang) Exkurs: Das Bewachungspersonal des KZ-Außenlagers Laagberg.
Axel Gablik (AG)
Dr., Historiker.
Rubrizierung: 2.312 Empfohlene Zitierweise: Axel Gablik, Rezension zu: Hans Mommsen / Manfred Grieger: Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich Düsseldorf: 1996, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/2470-das-volkswagenwerk-und-seine-arbeiter-im-dritten-reich_3176, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 3176 Rezension drucken